Ein Blick in die Werkstatt des Arbeitskreises Mobilität
Den Plänen der Landeshauptstadt München zufolge wird Freiham zu einem Modellprojekt für einen autoreduzierten Stadtteil werden. Das Thema Mobilität wird daher in der Freihamer Baugruppe viel diskutiert. Ich habe mich mit den Mitgliedern des AKs Mobilität online getroffen, um zu erfahren, wie sie sich bisher mit der Thematik auseinandergesetzt haben.

Wann und wie ist der AK Mobilität entstanden?
David: Organisiert haben wir uns damals über Confluence. Benjamin hat eine Seite erstellt, und dann haben wir uns eingetragen.
Benjamin: Philipp hat im Baugruppentreffen gemeint, wir müssen Lastenfahrräder ausprobieren. Das hab ich in die Hand genommen, und dann ging es los. Damals hab ich mir gedacht „cool, Fahrräder ausprobieren – wenn der AK so weiter läuft, dann macht’s Spaß!“.
Also ist der AK Mobilität im August 2019 mit der Aktion „Lastenfahrräder testen“ ins Leben gerufen worden?
Benjamin: Ja, so war das.

Markus: Es hat ja damals keiner gedacht, dass wir tagelang über Kriterien der Stellplatzvergabe diskutieren. Das ist das, was momentan unsere Hauptaufgabe ist. Das ganze Schöne, wie Lastenrad fahren, das haben wir ja momentan nicht. Am Anfang haben wir auch noch sehr viel anderes ausprobiert, wie verschiedene Schließsysteme für die Räder, etc.
Mit welchen Fragen beschäftigt ihr euch im AK?
Jeannine: Aktuell,wie gesagt, hauptsächlich mit der Stellplatzvergabe. Nebenher versuchen wir noch das Shared-Leasing Konzept zu erarbeiten.
Benjamin: Überhaupt ein Sharing Konzept zu erarbeiten, nicht nur für Autos, sondern auch für Fahrräder. Aber das Thema Fahrräder wird wohl viel einfacher zu bearbeiten sein als unsere momentane Aufgabe.
Markus: Wir überlegen auch zu Themen,wie was für Fahrradständer wir nehmen, wie die Räder sinnvoll geparkt werden können. Wie können wir Abstellmöglichkeiten für Fahrräder gestalten, dass Pendler und Vielfahrer davon profitieren.
Christian: Art und Zugänglichkeit des Stellplatzes sollen ja auch dazu dienen die eventuell vorhandenen Hemmschwellen der Bewohner abzubauen. Ich sehe das immer bei meinen Kindern, wenn die ihre Fahrräder zum Beispiel aufhängen müssen, klappt das halt aufgrund der Kraft und Körpergröße meistens nicht. So ein Konzept ist dann quasi schon gestorben, bevor es eine Chance zur Umsetzung hatte.
Benjamin: Digitalisierung ist auch noch ein Punkt, der uns beschäftigt. Wir sind ziemlich abhängig von einem guten Buchungssystem. Angenommen wir finden keinen passenden Kooperationspartner für unser Sharing-Konzept, dann müssen wir selbst als Genossenschaft eine Plattform bereitstellen. Dieses Problem haben einige AKs derzeit. Wir hatten schon Gespräche mit Sharea; die waren allerdings zu teuer, dann mit Isarwatt, die sind sehr langsam. Außerdem gehen sie sehr planerisch vor, d. h. sie machen sich Gedanken über einzelne Standorte von Steckdosen, haben aber kein „Big Picture“, wie das Konzept im Rahmen unserer Genossenschaft umgesetzt werden kann, wie unsere Bewohner damit im Alltag umgehen können.
David: Finanzierung ist sicher auch noch ein Thema, welches in Zukunft noch auf uns zu kommt. Wir haben uns beispielsweise schon Gedanken dazu gemacht, wie wir es schaffen Sharing Angebote für PKW und Fahrrad möglichst günstig für die Bewohner und Bewohnerinnen zu machen.
Was ist die größte Herausforderung in der Arbeit im AK für euch?
Benjamin: Wenn wir bei jemanden anfragen, sei es private Unternehmen aber auch bei anderen Genossenschaften, werden wir als AK oft nicht wirklich ernst genommen. Wenn wir als Arbeitskreis auftreten und keine Entscheidungsbefugnis haben, werden wir nicht als Entscheider wahrgenommen, und es ist schwer, ein konkretes Angebot zu bekommen.
Markus: Was ich als Herausforderung sehe ist, dass die Gebäude auf WA9 und WA4 auf einer grünen Wiese entstehen und nicht in einem Netz, in dem schon alles mehr oder weniger da ist. Parkplätze werden irgendwann in Zukunft reglementiert, in 15 Jahren kommt noch eine U-Bahn-Station. Wir können gar nicht voraussagen, wie sich das Verkehrsverhalten unserer Bewohner und Bewohnerinnen langfristig entwickeln wird. Es ist gut möglich, dass in einigen Jahren ein Fahrradschnellweg nach Freiham gebaut wird, sich dadurch das Mobilitätsverhalten der Bewohner stark ändert und wir eine fast leere Tiefgarage haben.
Christian: Das macht es aber natürlich auch irgendwo spannend. Wir haben ja auch die Möglichkeit, das eine oder andere Thema neu zu denken auf dieser grünen Wiese. Momentan ist es ja so, dass sich Viele einfach in ihrer aktuellen Mobilitäts-Situation befinden – ob mit oder ohne PKW – und nicht viel darüber nachdenken, ob und wie es anders sein könnte. In diesen neuen Raum reinzuziehen mit teilweise noch unbekannten Rahmenbedingungen, macht es auch spannend!
David: Bei uns in der Genossenschaft sehe ich auch noch die Herausforderung, wie wir es schaffen, so ein emotionales Thema wie die Stellplatzvergabe für alle Bewohner und Bewohnerinnen zufriedenstellend zu lösen. Wir bemühen uns zu vermitteln, dass wir die Themen als AK nur bearbeiten, die Entscheidung aber letztendlich in der Baugruppe stattfindet. Ich hoffe, dass wir es schaffen, alle mitzunehmen und als Bewohnerschaft bei dem Thema alle zusammen an einem Strang ziehen.
Es wird also eventuell Bewohner und Bewohnerinnen geben, die einen Stellplatz möchten, aber keinen bekommen können?
Benjamin: Ja, das ist möglich. Das Problem ist ja aber eigentlich auch ein hochgesellschaftliches, Stichwort: Klimakrise. Man muss zukünftig verzichten lernen, das geht nicht anders. Das Problem wird uns eh‘ irgendwann einholen, und wir erleben es jetzt in der Baugruppe halt schonmal ein paar Jahre vorher. Das Interessante ist zu sehen, wie und ob wir das hinkriegen. Wenn wir das nicht hinkriegen, wie soll das dann ein ganzes Land oder die gesamte EU schaffen?
Matthias: Jeder meint, der andere soll verzichten, nur man selbst nicht. Nach dem Motto: „Klima muss man retten, aber fang du mal an!“
Christian: Verzicht ist ein gutes Stichwort. Damit sind wir schon weiter als die Meisten. Momentan diskutieren wir [als Gesellschaft] ja noch den 1:1 Ersatz – also Elektromobilität statt Verbrennungsmotoren – und gehen dann davon aus, dass wir einfach so weiter machen können wie bisher.
Allein dieser Wechsel auf Elektromobilität ist ja schon schmerzhaft genug, gesamtgesellschaftlich betrachtet. Aber dann noch den Schritt weiter, den wir hier machen, also sich Gedanken machen, wie verändere ich Mobilität, das macht das Thema so komplex und schwierig.
Jeannine: Die Leute aus ihrer Komfortzone rauszukriegen, ist nicht einfach. Ich bin auf dem Land groß geworden. Ein Auto war damals unverzichtbar. Ich kenne den Luxus und den Komfort eines eigenen Autos. Dennoch haben wir, seitdem wir in München wohnen, keinen eigenen PKW, und ich vermisse dabei nichts. Natürlich könnte ich argumentieren, dass ich außerhalb der Verkehrsstoßzeiten mit dem Auto nur 30 Minuten von Neu-Aubing nach Ottobrunn benötige, also schneller als mit den Öffentlichen. In der Regel fahre ich diesen [Arbeits-] Weg allerdings während den Stoßzeiten und wäre dann leicht 50 Minuten und mehr unterwegs. Während dieser Zeit bin ich dann auch voll beschäftigt und konzentriert, rege mich eventuell über andere Autofahrer auf und bin eher angespannt. Während ich, wenn ich mit der S-Bahn fahre, die Zeit für mich nutzen kann. Ich kann ein Buch lesen, Musik hören, eine Serie schauen, Häkeln. Für mich ist der Zeitverlust durch den Arbeitsweg so viel geringer. Diese Argumentation versuche ich Anderen näher zu bringen.
Benjamin: Ich finde es recht spannend zu erkennen, dass Menschen, die in eine Genossenschaft eintreten, an sich meist schon recht vernunftbegabt sind: es ist ja aus ökologischer sowie ökonomischer Sichtweise recht sinnvoll. Aber bei dem Thema Stellplatzvergabe ist dieses vernunftbegabte Verhalten nicht zu erkennen.
Also sieht man hier das Klischee des „Autos als Heiligtum der Deutschen“ bestätigt?
Jeannine: Ja, das trifft es sehr gut!
Matthias: Man muss aber auch sagen, dass diejenigen, die hier erhöhten Diskussionsbedarf haben, nicht unbedingt die Mehrheit sind, sondern eher eine Minderheit.
Habt ihr euch die Aufgabenbereiche im AK aufgeteilt?
David: Benjamin hat den größten Teil der Kommunikation mit der Isarwatt eG und Statt Auto übernommen. Ich versuche, uns mit den anderen Genossenschaften in Freiham zu vernetzen, dort z.B. unser Konzept vorzustellen. Christian ist immer wieder im Kontakt zum Stadtteilmanagement in Freiham, Matthias kommuniziert am meisten in die Baugruppe. Prinzipiell unterstützen wir uns aber überall gegenseitig.
Wie leicht oder schwierig ist die Kommunikation und Vermittlung in die Baugruppe hinein?
Benjamin: Man lernt aus den Fehlern. Wir sind mittlerweile sehr vorsichtig, was wir kommunizieren.
Jeannine: Von uns angedacht war ja beispielsweise mal eine unterschiedliche Finanzierung der Stellplätze, aufgeschlüsselt nach Nutzerverhalten. Auf Drängen der Baugruppe haben wir dann frühzeitig unsere vorläufigen Lösungsansätze kommuniziert. Anschließend war die „Hexenjagd“ auf uns eröffnet. Solange noch nichts konkret ist, ist es ungünstig, in die Baugruppe zu kommunizieren.
Christian: Man muss auch sagen, dass trotz mehrfacher Aufforderungen an die Baugruppe zur Beteiligung wir nach wie vor nahezu in der Besetzung sind, in der wir den AK gestartet haben.
Benjamin: Wir haben in der Vergangenheit auch schon Workshops durchgeführt, aufgeschlüsselt nach voraussichtlichem Nutzungsverhalten der Bewohner. Unser Aufwand hierfür war sehr groß, die Beteiligung leider sehr gering.
Das ist ein Phänomen, welches sich an mehreren Stellen in der Genossenschaft beobachten lässt. Neben einem engagierten Teil der Bewohnerschaft, wie ihr es seid, gibt es auch relativ viele nicht wirklich Beteiligte oder wie seht ihr das?
Benjamin: Das ist ja auch ok. Aber man kann nicht erwarten, dass man überall mitgestalten kann, ohne sich selbst mit Zeit und Engagement einzubringen.
Was ist eure Vision für Freiham rund um das Thema Mobilität?
David: Dass wir einen stetig wachsenden Sharing-Anteil beobachten können. Weg vom Besitzen, hin zum Benutzen – eine flexiblere Nutzung von Autos und Mobilität im Allgemeinen.
Benjamin: Alle nutzen Sharing und wir bauen uns einen Beach-Volleyballplatz in die Tiefgarage anstatt der PKW-Stellplätze!
Ein perfekter Abschlusssatz – vielen Dank für eure Zeit!
Wer jetzt Lust und Interesse hat, sich im AK Mobilität zu beteiligen, ist herzlich willkommen. Tragt euch einfach auf Confluence auf der Seite des AKs ein und/oder kontaktiert eines der AK-Mitglieder direkt.
