Wie München die ausufernden Mietpreise in den Griff bekommen will
Die Grundstückskosten sind die Preistreiber für die Mieten bei Neubauprojekten, war schon Münchens Alt-OB Hans-Jochen Vogel überzeugt. Wie im Wilden Westen ging es früher auf dem Grundstücksmarkt in München zu. Schon vor 60 Jahren betrieb er Bodenvorratspolitik, von denen heute die Siedler in Freiham profitieren. Um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, stehen im Baugesetzbuch einige Instrumente zur Verfügung.

Die Älteren werden sich vielleicht noch an die Fernsehserie „Der Millionenbauer“ aus den 1980er Jahren erinnern. Der Ökonom Josef Hartinger, dargestellt von Walter Sedlmayr, verkauft seine großen Ackerflächen im Münchner Osten an Bauspekulanten. Er wird zwar reich, muss dann aber feststellen, dass er seinen Grund für ein Butterbrot verscherbelt hatte, während die Immobilienhaie nach der Ausweisung als Bauland ein Vielfaches erlöst haben.
Entlehnt war die Idee für die TV-Serie dem richtigen Leben, wobei die Wirklichkeit noch bizarrer war, als es sich die Drehbuchschreiber ausdenken wollten. In den 1960er Jahre hatte der Stadtrat einen Stadtentwicklungsplan beschlossen, in dem der Bau der von Trabantenstädten, unter anderem auch Neuperlach, festgelegt war. München platze aus allen Nähten und schnelles Handeln war angesagt. 150 Grundstückseigentümer mussten in Perlach überzeugt werden, ihren Boden herzugeben. Hier legte sich die damals auf Grundstücksbeschaffung spezialisierte Firma Terrafinanz ins Zeug.
Grundstücks-Affären gab es in München immer wieder
Die unbekannte Terrafinanz hatte rasche Ankauferfolge, wie der damalige Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel (SPD) in einem Interview mit dem Spiegel im Jahr 1983 bestätigte. Die hätten „unkonventionell“ verhandelt, meinte Vogel – heißt im Klartext: Widerspenstigen Bauern wurde für den Fall eines Vertragsabschlusses angeboten, dass demnächst als Bonus ein nagelneues Auto ihrer Lieblingsmarke vor der Tür stehen würde. Im Schnitt bekamen die Landwirte 39 Mark pro Quadratmeter und sie waren zufrieden damit, weil zu dem Zeitpunkt niemand ahnte, dass hier in naher Zukunft Hochhäuser aus dem Boden gestampft werden sollen.
Was erst 20 Jahre später herauskam: Weiterverkauft wurden die Flächen dann an den Bauträger, dem Gewerkschaftsunternehmen Neue Heimat, für 308 Mark pro Quadratmeter. Der Reibach für die Terrafinanz belief sich insgesamt auf 50 Millionen Mark. Und besonders pikant: Der Neue Heimat-Vorstand Albert Vietor war damals privat an der Terrafinanz beteiligt und kassierte mit ab.

Früher wurde aus Ackerland Bauland und Investoren profitierten oft von der Explosion der Kosten. Dazu gibt es auch noch ein anderes Beispiel, über das sogar ein Münchner Oberbürgermeister gestolpert ist. Es ging damals um den Zamilapark im Münchner Osten. OB war zu der Zeit Erich Kiesl (CSU). Einer Firma von dem ihm befreundeten Bauunternehmer Josef Schörghuber wurden 60.000 Quadratmeter städtischen Grund verkauft. Ein Gutachten der Stadt hatte pro Quadratmeter 840 Mark ermittelt. Verkauft wurde es für 230 Mark. Dem Stadtrat wurde der tatsächliche Wert verheimlicht, wodurch der Kommune ein Schaden von 20 Millionen Mark entstanden ist. Das Argument eines „Baulandgeschenkes“ nutzte Kiesls Gegenspieler Georg Kronawitter (SPD) im Wahlkampf bei der OB-Wahl 1984 aus und Kiesl wurde prompt abgewählt.
Alt-OB Vogel sichert Bodenvorrat in Freiham
Es war bereits in 1960er Jahren, als Vogel beim Aktenstudium über eine Bauvoranfrage der Südhausbau zu Freiham stolperte. Wie Neuperlach war auch Freiham als künftige Trabantenstadt im Stadtentwicklungsplan verankert. Hier musste aber nicht mit einer Vielzahl von Eigentümern verhandelt werden, sondern nur mit einem, dem Besitzer von Gut Freiham, Dr. Guido von Maffei.
Und im Gegensatz zu Neuperlach wollte die Stadt die Handlungshoheit nicht aus der Hand geben. Allerdings fehlte der Kommune das Geld, um die riesige landwirtschaftliche Fläche von 170 Hektar finanziell zu stemmen. Man gründete den Zweckverband Freiham zusammen mit dem Freistaat Bayern und einigen Kapitalgebern und kaufte das Ackerland. Diese frühe Entscheidung zur Bodenbevorratung stellte sich als Glücksfall heraus.
„Das hat uns aus heutiger Sicht Milliarden gespart“, bekräftigte der Alt-OB in einem Interview mit der Abendzeitung im Jahr 2019. Vor allem kommt das heute den Bewohnerinnen und Bewohnern zugute, die sich über bezahlbare Wohnungen freuen dürfen. Denn, machten vor 30 Jahren die Kosten für das Grundstück lediglich 8 bis 10 Prozent der gesamten Baukosten aus, waren es 2019 schon knapp 50 Prozent.
Explosion der Baulandpreise
Durch die Erfahrungen als OB in München und später als Bundesbauminister schälte sich für Hans-Jochen Vogel ein immer klares Bild heraus. Die explosive Erhöhung der Baulandpreise sind die wesentliche Ursache der hohen Mietpreise. In seinem Buch „Mehr Gerechtigkeit“ (Herder-Verlag), das er kurz vor seinem Tod in München vorstellte, fordert er eine neue Bodenordnung. Es könne nicht sein, dass ein Investor Grundstücke kauft, um diese dann einige Jahre wieder mit dreifachen Gewinn zu verkaufen, ohne darauf auch nur eine Hundehütte gebaut zu haben, so der Alt-OB. Im Jahr 2010 bekam man in München einen Quadratmeter Bauland noch für 630 Euro. Sieben Jahre später musste man dafür bereits 1.876 Euro hinblättern. Seit 1950 bis 2015 sind die Baulandpreise in München um satte 39.000 Prozent in die Höhe geschossen. Ein Ende der Fahnenstange ist nicht in Sicht.

Bereits als Oberbürgermeister war Vogel der Meinung, dass Grund und Boden keine beliebige Ware sein könne. Die Stadt forderte den Bund auf, das Bodenrecht zu reformieren, unter anderem mit einem erweitertem Vorkaufsrecht der Kommunen. Vogel sah hier immer Wien als Vorbild. Bereits 1918 fasste dort die Gemeinde den Beschluss, sich möglichst viel Boden für den Wohnungsbau zu sichern. Heute lebt in der österreichischen Metropole zwischen 30 und 40 Prozent der Bevölkerung in bezahlbaren Gemeindewohnungen. Der Alt-OB spricht sich dafür aus, dass die Gemeinden so viele unbebaute Flächen kauft, wie finanziell möglich.
Zu den Forderungen zählen auch ein Baugebot, ein Planungswertausgleich, wenn Grund zu Bauland wird, sowie eine Bodengewinnsteuer, um Gewinne abzuschöpfen, die den Bodeneigentümern ohne eigenes Zutun entstanden sind. Als Bundesbauminister1972 im sozialliberalen Kabinett von Willy Brandt konnte Vogel zwar einige Verbesserungen in der Steuerung bei der Stadtentwicklung durchsetzen, bei der Eindämmung der Bodenspekulation scheiterte er jedoch. Das Thema blieb auch im Kabinett von Helmut Schmidt in den Schubladen verschwunden und wurde später in der Ära von Helmut Kohl erst recht nicht mehr ausgegraben.
Vogel fordert in seinem Buch nicht nur die Überführung von Grund und Boden „in den Allgemeinwohlbereich, sofern er wohnungsrelevant ist“. Er spricht sich auch dafür aus, dass die Gemeinden einmal erworbenen Boden nicht mehr verkaufen dürfen. Stattdessen sollen sie ihn nur noch an Dritte im Erbbaurecht, zum Beispiel an Wohnungsgenossenschaften, abgeben dürfen.
Von Grünland zu Bauland ohne Spekulation
Nachdem sich die Lage auf dem Wohnungsmarkt bei den steigenden Mietkosten vor allem in den Metropolregionen immer weiter verschärfte, hat der Bundes-Gesetzgeber mit regulierenden Eingriffen reagiert. So sind im Baurecht in den letzten Jahrzehnten einige Instrumente geschaffen worden, um eine sozialgerechte Bodennutzung zu ermöglichen. Angesichts der Bevölkerungsentwicklung in München, bei der bis ins Jahr 2040 eine Einwohnerzahl von 1,8 Millionen Menschen prognostiziert wird, reizt die Stadt diese Möglichkeiten auch sehr extensiv aus.
Entlang der Bahnlinie der S8 von Daglfing bis Johanneskirchen erstreckt sich östlich davon das 600 Hektar große Planungsgebiet, in dem einst bis zu 30.000 Menschen leben und 10.000 Arbeitsplätze entstehen sollen. Diese Siedlungsfläche steht unter dem Vorbehalt, ein sogenanntes SEM-Gebiet zu werden. SEM bedeutet „städtebauliche Entwicklungsmaßnahme“. Im Münchner Norden in Feldmoching für ein Gebiet von 900 Hektar ist ein solche Planungsneuordnung ebenfalls eingeleitet.

Im Städtebaurecht ist die SEM das schärfste Instrument, um einen bezahlbaren Wohnraum zu ermöglichen. Die Gesamtmaßnahme wird als Entwicklungssatzung vom Stadtrat beschlossen. Zur Sicherung der Entwicklung ist auch ein Genehmigungsvorbehalt für alle Vorgänge zum Erwerb von Grundstücken und alle wesentlichen Änderungen in dem Bereich verbunden. Eine SEM wird dadurch finanziert, dass die Stadt die Grundstücke zu dem Wert erwirbt, der ohne Aussicht auf die Ausweisung als Bauland zustande kommen würde. Die baureifen Grundstücke werden nach der Erschließung zu dem dann höheren Verkehrswert veräußert. Eigentümer, die ihre Grundstücke behalten, entrichten einen Ausgleich des Preisunterschiedes vorher und nachher. Die sonst üblichen Erschließungsbeiträge entfallen. Eine Enteignung ist möglich, wenn das Gesamtprojekt in Gefahr gerät, weil die Eigentümer ihr Grundstück nicht hergeben wollen.
Rotes Tuch: Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme (SEM)
Die Stadt versucht, eine SEM für den Nordosten zu vermeiden und sich anderweitig mit den Eigentümern einig zu werden. Denn es müssen verschiedene Voraussetzungen erfüllt sein. Dazu gehört auch die zügige Durchführung des Projekts, die angesichts der immensen Größe des Planungsgebietes und der Verschiedenartigkeit der Eigentümer kaum zu realisieren ist.
Keine andere Städtebau-Maßnahme beschwört so viel Widerstand aus der Bevölkerung heraus, wie eine SEM. In Feldmoching und im Nordosten haben sich zwei Initiativen vorwiegend aus Grundstücksbesitzern und Anwohnern gebildet, die verhindern wollen, dass das SEM-Modell in den Gebieten verwirklicht wird. Die Bürgerinitiative „Lebenswertes Daglfing“ kämpft gegen die Versiegelung des Bodens und für Frischluftschneisen und fordert, dass zuerst die Untertunnelung der Bahnstrecke realisiert wird, bevor eine maßvolle Bebauung für 10.000 Menschen umgesetzt wird. Die Bürgerinitiative Heimatboden, getragen vor allem von Landwirten, macht sich für die Erhaltung der Anbauflächen stark und schürt Befürchtungen wegen Enteigungen. Es gibt aber auch die Initiative „Bündnis Pro SEM!“, die argumentiert, dass in den Planungsgebieten die Bodenspekulation verhindert werden muss, um dauerhaft bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.

Sozialgerechte Bodennutzung (SoBoN) setzt auf Kooperation
Ein anderes Baulandmodell im Baugesetzbuch ist die „Sozialgerechte Bodennutzung“ (SoBoN). Als eine der ersten Städte in Deutschland machte München davon Gebrauch. Vorrangig ist das Ziel, bezahlbare Wohnungen zu schaffen. Hier setzt man auf die Kooperation mit den Grundstückseigentümern. Die baurechtlichen Bestimmungen ermöglichen es der Stadt, mit den Eigentümern einen Vertrag zu schließen, einen Teil der Wohnungen an Berechtigte günstiger zu vermieten oder zu verkaufen.
Dazu wurde ein Schlüssel geschaffen, mit einem bestimmten Anteil an Geschossfläche für Einkommensorientierte Förderung (EOF), München Modell oder preisgedämpften Mietwohnungsbau (PMB). Der Kaufpreis für die Genossenschaft wird wie bei den Progeno-Projekten im Prinz-Eugen-Park und in Freiham nicht nach der Grundstücksfläche, sondern nach Quadratmeter Geschossfläche bezogen auf das jeweilige Fördermodell festgelegt.
Die Vorhabenträger, wie öffentliche und private Bauträger oder Genossenschaften, müssen sich an den Folgekosten der Planung beteiligen, etwa für Straßenausbau, Grünflächen, Grundschulen oder Kinderbetreuung. Damit die vereinbarten Kosten und Lasten angemessen bleiben, verbleibt mindestens ein Drittel des Planungsgewinns, also dem Bodenwert vorher als Grünland und nachher als Bauland, beim Investor. Bis Ende 2020 wurde in München mit SoBoN Baurecht für 59.000 Wohneinheiten geschaffen, davon 16.000 geförderte Wohnungen.
Im Juli 2021 wurde das SoBoN-Modell für München novelliert. Für neue Bebauungsplanverfahren gilt, dass mehr geförderter oder preisgedämpfter Mietwohnungsbau sowie die Übernahme erhöhter Folgelasten vorgesehen ist. Dabei können die Bauträger in einem Baukastensystem wählen, ob sie sich zum Beispiel durch einen höheren Anteil an den Infrastrukturkosten das Recht erkaufen, mehr freifinanzierte Eigentumswohnungen zu errichten. Die Bindungsfrist an das Modell ist künftig grundsätzlich 40 Jahre. Die Erstvermietungsmieten für neue Bebauungspläne wurden erhöht, beim München Modell zum Beispiel um 50 Cent pro Quadratmeter. Die neue Münchner SoBoN gilt bundesweit als dar weitgehendste Beschluss bei der Ausnutzung der gesetzlichen Möglichkeiten.

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