Braucht es wirklich ein ganzes Dorf, um …..?

Eine Progeno-Mama lässt ihren Gedanken freien Lauf

„Es braucht ein Dorf, um ein Kind großzuziehen“. Ein – wohl afrikanisches -–Sprichwort, dass so oder in Varianten seit Jahren von Eltern, Ratgeber-Autorinnen und Feuilleton-Journalisten zitiert wird. Worüber die aber nicht reden? Dass es manchmal gar nicht so einfach ist, wenn man dieses „Dorf“ dann plötzlich findet. Dieses kleine „Sozialexperiment“ leben wir Progeno-Eltern seit gut drei Jahren – jeden Tag!

Wir waren noch nicht lange eingezogen, da meinte eine Nachbarin (ich will keine Namen nennen), ich sei eine „Spießerin im Hipstergewand“. Selten hat mich jemand treffender charakterisiert. Und diese schlecht verborgene Spießigkeit, die schien in der Anfangszeit der Progeno im Prinz-Eugen-Park sowas von durchzuschlagen. Wo waren wir da nur hingeraten? Eigentlich ein wahres Kinderparadies mit wilden Ecken, Baustellen und richtig viel Freiheit. Nur leider konnten wir von unserer Erdgeschosswohnung genau auf die „marodierenden Horden“ von Neu-Vorstadtkindern gucken, die die Baustelle der Wagnis unsicher machten. 

Ich weiß nicht, wie oft ich zu meinem Mann gesagt habe: „Geht uns das was an?“, wenn mal wieder ein „Fremdkind“ da tätig wurde, etwa mit frischer Teerfarbe oder an den Baumaschinen oder oder oder. Gefühlt ging es mich immer was an: „Was da alles passieren kann!“ Vermutlich hätte ich mir einfach einen Schnauzer wachsen lassen sollen, eine beige Jacke anziehen und den „Lümmeln“ mit dem Krückstock drohen. Stattdessen brüllte ich über den Hof – und manches Augenrollen zeigte mir, was die Progeninis davon hielten, ständig von „Sams Mama“ oder „Jimmys Mama“, sprich mir, ermahnt zu werden. Meine armen Kinder, bestimmt mussten sie sich manchen Kommentar anhören.

Trotzdem oder vielleicht sogar deswegen gingen bald Besuchskinder ein und aus bei uns (die Nähe zum Sandkasten tat ihr übriges). Und nahtlos folgte die Phase: „Kann xy bei uns spielen/essen?“ Worauf ich bestimmt viel zu oft antwortete: „Wenn xy sich die Hände wäscht/sich vorher entsandet!“ Meine Kinder fanden Freunde und Freundinnen und ich? Fand oft das Ende meines Geduldsfadens. Und doch merkte ich auch immer mehr, wie mir die kleinen Mitbewohner und Mitbewohnerinnen ans Herz wuchsen (wenn auch nicht alle im gleichen Maße).

„Your House, your Rules“, im wechselseitigen Austausch lernen Kinder in der Nachbarschaft voneinander (Bild: Oksana Scholz)

Ginge es nach unseren Kindern, wir wären alle schnell in einer einzigen großen PEP-Kommune aufgegangen. Sie konnten sich einfach nicht mehr trennen.

Ein Abendessen nur im Kernfamilienkreis? Un-denk-bar. Danach gemeinsam Kinderkino und Süßigkeiten, juhu. „Und dann fragen wir noch bei deiner Mama,“ habe ich mal einen meiner Söhne sagen hören. Genau, wie war das eigentlich? Durften die Nachbarskinder überhaupt jeden Abend Fernsehen? Hatten die nicht vielleicht schon was Süßes? Mussten die zuhause die Hände waschen? Durfte ich sie überhaupt ermahnen, wenn mir das Spiel bei uns zu wild wurde?

Und, genauso spannend, die Frage: „Wie zur Hölle benehmen sich meine Kinder wohl bei anderen?“, „DA DARF MAN AUF DEM BETT HÜPFEN!“, „DORT DARF MAN IMMER LÄNGER AUFBLEIBEN.“ Und „DIE SCHIMPFEN NIE“. Hm, ganz sicher!

Jetzt feiere ich „mein Dorf“. Es kann unseren Kindern nur gut tun, zu sehen, wie „die anderen“ es machen.

Klar haben wir uns auch mal mit anderen Eltern ausgetauscht, gefragt, ob etwas in Ordnung wäre. Vor allem aber haben wir uns über die Entlastung gefreut. Denn genauso oft, wie wir gefragt wurden, ob xy zum spielen kommen dürfte, wurden wir bald gefragt, ob man zu xy spielen gehen dürfe. Und ehrlich gesagt: „Your House, your Rules“. 

Im Laufe der letzten drei Jahre ist mir bewusst geworden, was es für ein Geschenk ist, dass ich den Erwachsenen in unserem „Dorf“ vertrauen kann, sich mit um meine Kinder zu sorgen. Und dass sie Toleranz zeigen, wenn ich mich etwas zu sehr um ihre Kinder „sorge“. Und das mir, die vor dem Umzug in eine Genossenschaft Angst hatte vor „sozialer Kontrolle“.

Jetzt feiere ich „mein Dorf“. Es kann unseren Kindern nur gut tun, zu sehen, wie „die anderen“ es machen. Und wir können darauf vertrauen, dass unsere Nachbarn einspringen, wenn es eng wird. So war das wohl gemeint, mit dem sprichwörtlichen Dorf. Und ein bisschen Ambiguitätstoleranz, die braucht man sowieso im Leben.

Kristina Weber

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