Wer Inklusion haben will, muss groß denken!
„Wir finden Inklusion ist wichtig – Deshalb machen wir uns für Inklusion und Vielfalt in der Progeno stark!“ – Umma und Irene aus der Ute-Strittmatter-Straße erzählen von ihren Ideen und Visionen für den AK Inklusion und Vielfalt.

Irene: Ummahan, wie kamst du zur Progeno?
Umma: In unserem alten Zuhause im schönen Bogenhausen hatten mein Mann Cornelius und ich grundsätzlich alles, was wir brauchten und haben uns wohlgefühlt. Als ich vor vielen Jahren von meiner Chefin Ute Strittmatter erfuhr, dass sie sich für ein barrierefreies und inklusives Stadtquartier in Freiham einsetze, wurde ich sehr neugierig. Wer Ute war, muss ich euch nach dem tollen Artikel über ihr Engagement vermutlich nicht erzählen. Zusammen mit dem Münchner Behindertenbeirat und dem Koordinierungsbüro zur Umsetzung der UN Behindertenrechtskonvention hat meine Chefin an den Planungen des Freihamer Stadtteil intensiv mitgewirkt und später hatte ich selbst sogar die Gelegenheit meine Expertise in die Planungsphase miteinzubringen. Zunächst war ich dem gesamten Stadtteilprojekt skeptisch eingestellt, da die Umsetzung von Inklusion und Barrierefreiheit oft auf Barrieren, insbesondere mentaler Natur, stößt. Trotzdem hat es mich gereizt, ein Teil dieses Projektes zu werden, nicht nur auf beruflicher Ebene, sondern auch privat und das Zusammenleben in Freiham selbst aktiv mitzugestalten. Da ich bereits positive Erfahrungen mit genossenschaftlichem Wohnen gemacht hatte, haben wir aktiv nach Genossenschaften in Freiham gesucht. Die Progeno hat uns dabei mit ihren Grundprinzipien und Zielen für ökologisches und soziales Wohnen am meisten überzeugt. Zunächst sollten wir in der Gustl-Bayrhammer-Straße wohnen, durch Zufall wurde es doch die Ute-Strittmatter-Straße – Eine große Ehre für mich!
Und, Irene, wie war dein Weg zur Progeno?
Irene: Mein Mann Alex und ich haben in einem München-Modell-Eigentumsprojekt in Freiham sehr aktiv mitgewirkt. Aus persönlichen Gründen mussten wir dort leider nach etwa eineinhalb Jahren austreten, wollten aber unbedingt an einem ähnlich gemeinschaftsorientierten Wohnprojekt teilnehmen. Denn wir hatten uns schon so sehr mit dem inklusiven Gedanken in Freiham identifiziert, und ich war nicht bereit, die Vorstellung davon aufzugeben aufgrund meiner eigenen Betroffenheit mit einer chronischen psychischen Beeinträchtigung. Auch uns hat die Progeno von allen Genossenschaften in Freiham am besten überzeugt, wir haben uns hier einfach gut aufgenommen gefühlt.

Umma: Irene, du hast ja die Gruppe Inklusion ins Leben gerufen, warum?
Irene: Bei dem Eigentumsprojekt waren zwei inklusive Ideen Teil des Konzepts und mir war es ein persönliches Anliegen, diesen Gedanken auch in die Progeno miteinzubringen. Bei einem Baugruppentreffen wurden wir dazu aufgerufen, dass sich ähnliche Interessengruppen schon vor Einzug treffen sollen, um sich kennen zu lernen. Nachdem sich die Eltern und die Freizeitgruppe derjenigen, die unter der Woche frei haben, zusammengefunden hatten, wollte ich auch eine Gruppe gründen, zu der ich mich zugehörig fühle und wo ich mich auch mit meiner Beeinträchtigung offen zeigen kann. Und dann kamst ja du, Umma, ja gleich zum ersten Treffen mit dazu. Was hat dich angesprochen?
Umma: Was mein erster Gedanke war: Juhuu, dann muss ich das nicht tun. Denn das hätte sehr viel länger gedauert. Ich war zu dem Zeitpunkt sehr viel mehr damit beschäftigt, mich als Mensch mit einer doppelten Sinnesbeeinträchtigung in der Genossenschaft zurechtzufinden. Bei dem ersten Treffen habe ich mir gedacht, drei sind noch keine Gruppe und wir drei hatten ja auch sehr unterschiedliche Beeinträchtigungen. Da ist doch noch Potenzial nach oben und unter Inklusion ist ja etwas anderes zu verstehen.
Irene: Ahja, was bedeutet denn Inklusion überhaupt?
Umma: Die gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen am politischen und gesellschaftlichen Leben, wäre so eine allgemeine Definition. Inklusion ist also nicht nur auf Menschen mit Beeinträchtigung
zu reduzieren, sondern alle Menschen sollen überall dabei sein und mitmachen können. Niemand wird ausgeschlossen – und zwar unabhängig von Hautfarbe, Kultur, Sprache, Religionszugehörigkeit, sexueller Orientierung, Geschlechtsidentität, finanziellem bzw. gesellschaftlichem Status, Familienmodell oder eben auch körperlicher, seelischer oder kognitiver Beeinträchtigung.
Und was bedeutet Inklusion für dich, Irene?

Irene: Für mich ist wichtig, dass jeder Mensch mit seinen Besonderheiten und Potenzialen in einer Gemeinschaft angenommen wird und nicht das Gefühl haben muss, sich anpassen oder verstellen zu müssen. Denn die eigene Natur verbergen zu müssen, kostet unheimlich viel Kraft und dann fehlt die Energie in den anderen wichtigen Bereichen des Lebens. Aufgrund meiner Erfahrung im Selbsthilfe-bereich kenne ich viele Geschichten von Menschen mit vorwiegend seelischen Beeinträchtigungen und weiß, wie befreiend es für die Menschen sein kann, nichts von sich verstecken zu müssen und einfach so sein zu dürfen, wie man ist.
Umma: Und wie stellst du dir ein inklusives Leben in der Progeno vor? Wie soll das in der Praxis aussehen?
Irene: Durch den starken Zuwachs an Mitgliedern in der Genossenschaft gibt es gerade eine starke Veränderungs- und Mitgestaltungsdynamik, die ich gerne dazu nutzen möchte, dass Inklusion zukünftig selbstverständlich in unserem Alltag gelebt wird. Konkret bedeutet das, dass ich die Mitglieder der Progeno für das Thema sensibilisieren und das Verständnis in der Gemeinschaft für spezifische Lebenslagen fördern möchte. Daher ist es mir ein besonderes Anliegen, dass spezielle berechtigte Bedürfnisse von Einzelnen aufgrund z.B. einer Beeinträchtigung, in der Progeno Gehör finden und wir gemeinsam Lösungswege dafür erarbeiten. Mein Ziel ist es auch, dass in den Progeno-Gremien die Vielfalt der Lebenslagen der Mitglieder vertreten sind. Zudem möchte ich mitwirken, dass Barrieren in verschiedenen Bereichen abgebaut werden. Die meisten Menschen verbinden mit dem Begriff Barrierefreiheit hauptsächlich rollstuhlgerechte Zugänge. Inzwischen wird der Begriff allerdings viel weiter gefasst. Denn es gibt auch finanzielle, sprachliche oder digitale Barrieren und Barrieren können auch in den Köpfen sein, z. B. durch Vorurteile und Stigmatisierung.
Umma, du hast mir schon von Barrieren in der Progeno berichtet, magst du das erläutern?
Umma: Ja, für mich ist Rocketchat nicht barrierefrei bedienbar, da die Bedienungshilfen meines Smartphones mit Rocketchat nicht so gut funktionieren, wie bei vergleichbaren Chat-Apps. Auch bei Confluence ist die digitale Barrierefreiheit verbesserungswürdig. In den Gemeinschaftsräumen sind für mich die Kontraste und Lichtverhältnisse so ungünstig, dass ich mich nicht ohne fremde Hilfe frei bewegen könnte. Als Mensch mit Beeinträchtigung möchte ich aber nicht immer die Bittstellerin sein, sondern mich möglichst selbstbestimmt in der Gemeinschaft bewegen können.
Die meisten Menschen verbinden mit dem Begriff Barrierefreiheit hauptsächlich rollstuhlgerechte Zugänge. Inzwischen wird der Begriff allerdings viel weiter gefasst. Denn es gibt auch finanzielle, sprachliche oder digitale Barrieren und Barrieren können auch in den Köpfen sein, z. B. durch Vorurteile und Stigmatisierung.
Irene: Ja, den Wunsch nach Selbstbestimmung kenne ich auch gut von mir und anderen Betroffenen. Es fühlt sich auch für mich besser an, wenn ich mir selbstbestimmt die Hilfe organisieren kann, die ich brauche. Denn dann kann ich die Unterstützungsperson selbst in meine Besonderheiten einweisen, ohne mich in der Gemeinschaft damit outen zu müssen, wenn ich das nicht möchte. Ich bin zwar jemand, der relativ offen mit der eigenen Beeinträchtigung umgeht, sonst würde ich ja auch nicht mit dir diesen Artikel machen. Deshalb habe ich in allen Arbeitskreisen in der Progeno, in denen ich mitwirke, kommuniziert, dass es immer wieder Phasen geben wird, in denen ich nicht einsatzfähig bin. Bisher habe ich damit auch sehr positive Erfahrungen gemacht, es schwingt aber auch immer noch ein bisschen Angst mit, damit nicht akzeptiert zu werden und Ausgrenzung zu erfahren.
Wie geht es dir denn mit dem Konzept der Selbstverwaltung?
Umma: Mit dem Wohnen in einer selbstverwalteten Genossenschaft hatte ich bereits zuvor positive Erfahrungen gemacht, da gab es aber auch keine Barrierefreiheit und Inklusion. Mir wurde damals gesagt, ich bräuchte nichts zu tun. Das gab mir aber kein gutes Gefühl, denn es macht mir ja auch Spaß, mich mit meinen Stärken in die Gemeinschaft einzubringen. Hier habe ich jetzt die Chance, es anders zu machen, da Barrierefreiheit und Inklusion in diesem Stadtteil von Anfang an mitgedacht wurden und daher einen völlig anderen Stellenwert haben.
Irene: Was würdest du denn in der Progeno anders machen, hast du ein Beispiel?
Umma: Mir ist wichtig, dass alle Menschen, die das wollen, sich möglichst selbstbestimmt in die Gemeinschaft einbringen können. Dafür möchte ich herausfinden, ob es weitere Menschen in der Progeno gibt, die von der allgemeinen Kommunikation, wie Rocketchat und Confluence ausgeschlossen sind und wie wir diese Hürden gemeinsam abbauen können, um alle zu erreichen.
Denn wenn wir nicht alle erreichen, können sich diejenigen ja auch nicht in die Gemeinschaft einbringen, und das kann zu Missmut und Konflikten führen. Im Prinzip möchte ich in der Progeno Strukturen entwickeln und Veränderungen in die Wege leiten, damit eine selbstbestimmte Teilhabe für alle möglich ist. Dabei ist es wichtig, dass wir uns als Gemeinschaft trauen, offen aufeinander zuzugehen und neue Wege zu auszuprobieren. Dabei werden wir auch immer mal wieder Fehler machen und es wird Sachen geben, die nicht funktionieren. Wichtig ist dabei, dass wir weitermachen, daraus lernen und weiter gemeinsam experimentieren.

Irene: Was ist denn für dich die Voraussetzung, um die Weichen in Richtung Inklusion und Barrierefreiheit zu stellen?
Umma: Wenn wir Inklusion in der Progeno ganz selbstverständlich im Alltag und auf allen Strukturebenen der Genossenschaft leben wollen, muss Inklusion mit zu den Grundprinzipien der Progeno gehören. Wir wollen auf der nächsten Mitgliederversammlung eine Grundsatzerklärung zu
Inklusion abgeben, vergleichbar mit der Grundsatzerklärung zur Nachhaltigkeit auf der letzten Versammlung. Ich möchte, dass der AK Inklusion und Vielfalt eine Anlaufstelle für alle Interessierten in inklusiven Themen wird. Wir freuen uns, wenn ihr euch bei Unsicherheiten und Fragen an unseren AK wendet. Daher engagiere ich mich auch als Beirätin im FAM-Bewohnerverein und ich freue mich sehr, dass wir mit Vroni ein Mitglied des Aufsichtsrats für unseren AK gewinnen konnten.
Irene: Jetzt haben wir ganz viel über unsere persönlichen Motive und Anliegen gesprochen. Aber inzwischen hat die Gruppe ja ganz schön Zuwachs bekommen und die Ideen, in welchen Bereichen wir uns engagieren könnten sind sehr vielfältig. Magst du ein paar dieser Ideen kurz vorstellen?
Umma: Ja, zum Beispiel kam der Vorschlag, unsere Festlichkeiten interkultureller zu gestalten, um Verständnis füreinander zu fördern und den Horizont zu erweitern – z. B. durch interkulturelle Kochevents. Wir haben dies auch schon beim letzten Kaffeeklatsch vom FAM-Bewohnerverein Profreiham e.V. umgesetzt, indem wir am Abend interkulturell gekocht haben und uns zum Fastenbrechen nach Sonnenuntergang getroffen. Denn Ramadam ist für die Muslimen in unserer Gemeinschaft eines der wichtigsten religiösen Ereignissen im Jahr. Wir wollen interkulturelle Kalender, in den Gemeinschaftsräumen aushängen. Damit können wir verhindern, dass sich wichtige Events der Genossenschaft mit kulturellen Feiertagen überschneiden, die nicht in der deutschen Kultur verankert sind. Zudem wollen wir uns im Quartier vernetzen, um auch von anderen Wohnprojekten zu lernen und gemeinsam den inklusiven Stadtteil mitzugestalten.
Der AK Inklusion und Vielfalt ist unabhängig von dieser Gruppe und für alle Progenis offen. Wir laden herzlich auch die PEPler ein, sich mit uns gemeinsam für Inklusion in der Progeno stark zu machen.
Irene: Und wir hatten ja auch noch die Idee einen Fragebogen zu entwickeln, um anonym abzufragen, welche Hürden es in der Progeno gibt und was es braucht, um diese zu überwinden.
Gibt es Menschen, die sich nicht in die Gemeinschaft einbringen, und wenn ja woran liegt das? Wie können wir sicherstellen, dass Personen nicht unbeabsichtigt ausgegrenzt werden und diese sich in die Gemeinschaft entsprechend ihrer Möglichkeiten selbstbestimmt einbringen können? Fühlen sie sich wirklich eingeladen, Teil der Gemeinschaft zu sein, oder braucht es dazu noch etwas? Diese Umfrage ist aktuell noch in Bearbeitung und wir bewerben sie dann intensiv, wenn wir fertig sind. Die Gruppe für Menschen mit Beeinträchtigung in FAM wird es weiterhin in unregelmäßigen Abständen geben, vermutlich wieder ab Sommer. Hier wollen wir uns in gemütlicher und geschützter Atmosphäre über Themen austauschen, die für uns wichtig sind, uns gegenseitig stärken und Mut machen. In dieser Runde sind wir gemeinsam für die Organisation und Durchführung verantwortlich. Wir suchen derzeit noch einen pfiffigen Namen dafür, wenn du also Ideen hast, melde dich gerne.
Umma: Der AK Inklusion und Vielfalt ist unabhängig von dieser Gruppe und für alle Progenis offen. Wir laden herzlich auch die PEPler ein, sich mit uns gemeinsam für Inklusion in der Progeno stark zu machen. Über einen Konferenzlautsprecher wären AK-Treffen auch in hybrider Version möglich. Wir möchten auch noch ankündigen, dass wir für die nächsten Magazin-Ausgaben regelmäßig anonymisierte Interviews veröffentlichen wollen, um mehr Einblicke zu geben in die Lebenswelt von Menschen mit verschiedensten Lebenslagen. Wenn du also etwas von deinen Erfahrungen im Alltaganonym teilen möchtest, freuen wir uns, wenn du dich bei uns meldest.
Unser Kontakt: inklusion@progeno.de
Unser Confluence-Auftritt: Inklusion und Vielfalt
(Die Seite auf Confluence ist derzeit leider nur für wohnende Mitglieder erreichbar.)
