Ein Erfahrungsbericht aus dem Prinz-Eugen-Park, Progeno
Am 24. Februar 2022 begann die Invasion Russlands in die Ukraine. Das Entsetzen darüber war überall deutlich spürbar, und Vielen stellte sich die Frage, was man selbst tun kann, um der großen Anzahl an geflüchteten Familien, Erwachsenen, Jugendlichen und Kindern zu helfen. So auch bei uns in der Progeno.
Engagement von Privatpersonen in der Progeno
Schnell organisierte sich noch im Februar 2022 eine kleine Gruppe bei uns, die Kleiderspenden für die Ukraine in unserem Gemeinschaftsraum sammelte, sortierte und zu einer ukrainischen Kirche brachte, die den Transport von Kleidung und Hilfsgütern an die Front koordinierte.
Gleichzeitig entstand im Prinz-Eugen-Park (PEP) ein quartierweites Netzwerk an freiwilligen Helfern, das sich über eine WhatsApp-Gruppe miteinander vernetzte. Über diese WhatsApp- Gruppe erreichte uns dann auch die erste Anfrage von Irina (ukrainische Bewohnerin aus dem Quartier), die dringend für ihre geflüchtete Schwester Rita und ihren 3jährigen Sohn eine Unterkunft suchte. Ganz pragmatisch und kurzentschlossen vergaben wir nach kurzer Abstimmung mit dem Verein Progeno Park, der für die Verwaltung der Gästeappartements zuständig ist, eines unserer Gästeappartements an die geflüchtete Frau mit ihrem Sohn für zunächst zwei Wochen. Die weitere Bewohnerschaft der Progeno im PEP wurde darüber via Email informiert.

Mehr Unterstützung bedarf Einbindung der gemeinschaftlichen Strukturen in der Genossenschaft
Kurze Zeit später im März 2022 erfuhren wir, dass es bald Bedarf an einer Unterkunft für die geflüchtete Familie einer unserer Nachbarn aus der Progeno gibt. Die Unterstützung unserer direkten Nachbarn war sofort selbstverständlich. Aus einer Hilfe suchenden ukrainischen Familie wurden nun zwei Familien, die wir gern unterstützen wollten.
Aufgrund dieser Dringlichkeit diskutierten wir ad hoc zusammen mit den Vereinsmitgliedern des Progeno Park und unserem Verantwortlichen für das Gästeappartement-Management in kleiner Runde, wie wir den Geflüchteten mit den Gästeappartements helfen könnten und wie diese Hilfe innerhalb unserer Genossenschaft vertretbar sei. Schließlich müssten mit der Unterstützung beider Familien nicht nur externe Buchungen der Appartements storniert werden, sondern die Gästeappartements stünden auch nicht mehr für den Eigenbedarf der Bewohner zur Verfügung.
Es wurde klar, dass über die erweiterte Hilfe für einen idealerweise längeren Zeitraum nur die ganze Bewohnerschaft entscheiden konnte. Die Nutzung der Gästeappartements für die Unterstützung der ukrainischen Familien wurde deshalb als Agendapunkt für das nächste Bewohnertreffen aufgenommen. Die zweite ukrainische Familie mit verwandtschaftlichen Beziehungen zur Progeno zog zwischenzeitlich in das zweite Gästeappartement ein.
Von der Auseinandersetzung in der Kleingruppe zur Diskussion in der Bewohnerschaft
Auf dem Bewohnertreffen wurde die Bereitstellung beider Gästeappartements für fünf Monate beschlossen. Die Situation in der Ukraine blieb auf absehbare Zeit unüberschaubar. Die Diskussion über eine Verlängerung unserer Unterstützung in den nächsten Bewohnertreffen war emotional und vielfältig. Alle wollten die beiden ukrainischen Familien unterstützen. Nur zu dem Umfang der Unterstützung gab es bei den Bewohnern unterschiedliche Standpunkte und Bedürfnisse. Beschlossen wurde dementsprechend zunächst nur, dass man im kleineren Kreis alternative Optionen für die Unterbringung der Gäste der Bewohnerschaft entwickeln würde. Zusätzlich sollte eine konkrete Entscheidungsvorlage für die weitere Nutzung der Gästeappartements ausgearbeitet werden, die dann Mitte Mai 2022 in einem Sondertreffen der Bewohnerschaft zur Abstimmung gegeben werden sollte.
Auf besagtem Sondertreffen wurde entschieden, dass wir unter Nutzung alternativer Übernachtungsmöglichkeiten für die Gäste der Bewohnerschaft (z. B. Anschaffung mobiler Gästebetten, Wohnungstausch in Urlaubszeiten, Jugendraum als Ausweichmöglichkeit), beide Gästeappartements bis Ende Oktober 2022 den geflüchteten ukrainischen Familien zur Verfügung
stellen. Im Verlauf dieser Diskussion stellten wir jedoch fest, dass das einfache, demokratische Mehrheitsprinzip für eine Entscheidung, die über das gemeinsame Eigentum aller Bewohner im PEP, nicht selbstverständlich die passendste Form der Abstimmung ist. Die Entscheidung fiel in umgekehrter Form durch die Abfrage von Vetos.
Wie entscheiden wir?
Da sich die Situation in der Ukraine im Sommer 2022 immer noch nicht entspannt hatte, stand der Gedanke im Raum, den geflüchteten Familien unsere Unterstützung für den ganzen Winter zuzusichern. Um diese Entscheidung zu treffen, wurde in einem der folgenden Bewohnertreffen beschlossen, dass über eine anonyme Umfrage zunächst der Eigenbedarf aller Bewohner abgefragt werden sollte. Aufbauend auf den Ergebnissen der Umfrage sollten dann verschiedene Nutzungsszenarien für die Gästeappartements erarbeitet und online zur Abstimmung gegeben werden. Über die Umfragen machten wir uns die Vorteile zunutze, dass sie potentiell nicht nur mehr Bewohner erreichen und die Ergebnisse somit repräsentativer sind, sondern dass wir zeitlich unabhängig von den Bewohnertreffen auch entscheidungsfähig sind. Außerdem hatte so jeder die Möglichkeit, frei von moralischem und sozialem Druck, seine Meinung zu äußern.

Fazit
Wir haben als Gemeinschaft solide und nachhaltige Möglichkeiten zu helfen, aber dies kann ab einem bestimmten Punkt niemand alleine oder auch in kleiner Gruppe für die ganze Gemeinschaft entscheiden. Um als Gemeinschaft an einem Strang zu ziehen, ist es wichtig eine offene, klare Diskussion zu führen, in der sich jeder sicher fühlt. Darüber hinaus braucht es einen Konsens zur Entscheidungsfindung, für die auch Instrumente jenseits der Standardwerkzeuge der genossenschaftlichen Meinungsbildung in Betracht gezogen werden können. Außerdem bedarf es für die Umsetzung von genossenschaftlichen Projekten die konkrete Initiative einer Kerngruppe.
Wir haben es geschafft – zusammen 🙂

Durch unsere Geschichte mit den Gästeappartments habe ich sehr viel von Dir, liebe Inga, gelernt: Dran bleiben, Sachverhalt über die Emotionen stellen, kühlen Kopf behalten, alle Sichtweise im Blick behalten, Offenheit für jede Meinung, kreativ und lösungsorientiert bleiben! Dafür großen persönlichen Dank! Oksana