Christoph und Felizitas im Gespräch mit Heike Skok, Gründungsmitglied der Wogeno
Ohne die Pionierarbeit der Wogeno wäre die Progeno möglicherweise nie gegründet worden. Wogeno-Mitgründerin Heike Skok ist eine echte „Überzeugungstäterin“: Wie aus der Hausbesetzerin eine „Häuserbesitzerin“ wurde, erzählt sie uns in einem spannenden Gespräch.
Felizitas: Du konntest ja bereits ein bisschen in unser Magazin schauen – ich muss gestehen, dass ich dafür manche Anregung aus euren Wogeno-Rundbriefen entnommen habe, die ich sehr schätze.
Heike: Euer Magazin ist ganz wunderbar und wirklich beeindruckend – eine super gute Qualität!
Felizitas: Vielen Dank! Ja, dank einiger Profis im Redaktionsteam und vieler engagierter Laien. Wir sind auch sehr stolz darauf! So entstand in mir die Idee, dich als Urgestein der Wogeno für’s Magazin zu interviewen. Du hast ja mit einigen anderen viel Pionierarbeit geleistet seit der Gründung vor ca. 30 Jahren.
Christoph: Es ist unglaublich wichtig, zu erfahren, wie ihr es in der Stadt München geschafft habt, so etwas wie die Wogeno auf die Beine zu stellen. Ohne eure Vorarbeit hätten wir die Progeno nie starten können. Wir kommen von der Herkunft her eher aus der bürgerlichen Ecke, wobei wir es nicht so empfinden, aber rein faktisch ja, wir sind jetzt nicht die grünen Öko Leute von Geburt an. Unser Impetus war, wie können wir gut und bezahlbar zusammen wohnen und zwar unabhängig von irgendwelchen speziellen Überschriften.
Heike: Es ist grandios, wie ihr das gemacht habt. Dass ihr so kurz nach der Gründung ein Grundstück bekommen habt und loslegen konntet, ist ein Glücksfall. Insofern habt ihr auch viel schneller Lernerfahrungen gemacht als wir, die Jahre brauchten, bis aus der Idee endlich Realität werden konnte.
Felizitas: Ja, es war von Anfang sehr temporeich, weshalb wir bestimmte Sachen inhaltlicher Art quasi etwas nachholen. Das betrifft z. B. das Artikulieren und Definieren, was wir genau unter Selbstverwaltung und Beteiligung verstehen. Mit unserem zweiten Projekt in Freiham sind wir zu solchen Festlegungen ange-halten. Hier im ersten Projekt ist es etwas spezieller, da einige Gründer und beide Vorstände hier wohnen.
Christoph: Da ist eben auch eine spannende Frage für mich. Die Gründer haben eine ganz besondere Beziehung – es ist mein Baby und da hängt man dran. Gleichzeitig ist es aber auch manchmal eine Bremse, weil man natürlich eben genau diese enge Beziehung hat. Wir haben das Gefühl, dass jetzt nach sieben Jahren der richtige Zeitpunkt ist, den Übergang einzuläuten. Und es gibt ja auch genügend, die in dieser Übergangs-phasen mitmachen von der Gründung in einen laufenden Betrieb, also in eine nachhaltige, stabile Bewirtschaftung und natürlich den Aus- und Weiterbau.
Felizitas: In gewisser Weise hatten wir den Vorteil, von Anfang ein Team zu sein; kein Einzelner von uns hätte das geschafft. Deshalb konnten wir gleich mit dieser Schlagkraft durchstarten – da gab es das bauliche Know-how, das genossenschaftliche, das finanzielle/strukturierende und das soziale – sehr breit aufgestellt also.

Heike: Zu mir, ich bin Heike Skok inzwischen 65 Jahre und studierte Soziologin. Ursprünglich komme ich aus Frankfurt, bin über die Jahre ein bisschen in der Welt herumgekommen.
Christoph: Was war damals der der Ausschlag, Soziologie zu studieren?
Heike: Nun, ich bin schon eher eine Generalistin, da hat das gut gepasst, sich mit gesellschaft-licher und politischer Entwicklung zu befassen. Ich habe eine Tante mit einem bunten Lebenslauf, die mir Anstöße gegeben hat, dazu drei Schwestern, komme also aus einer von Frauen dominierten Familie. Am frauenpolitischen Engagement kam „frau“ nicht vorbei, wenn sie Ende der 70er Jahre ein bisschen mit offenen Augen unterwegs war. Ich war dann mit Aktion Sühnezeichen Friedensdienste als Frei-willige in den USA und ab Mitte der 80er hauptamtlich in den USA als Leiterin des USA Büros. Das alles hat mich stark geprägt. Aktion Sühnezeichen gründete sich aus der Bekennenden Kirche mit dem Ziel, in die Länder zu gehen, die vom Faschismus besonders stark getroffen waren, um dort praktische Aufbauarbeit zu leisten. Die Verbindung in die USA kam zustande über die Vietnam-Kriegsdienst-verweigerer, die über die Quäker z.T. auch nach Deutschland kamen. Ein Schwerpunkt der Freiwilligen war das Community Organizing in armen Nachbarschaften.
Felizitas: Also sozusagen „Selbstermächtigung“ , „Empowerment“?
Heike: Ja genau, das trifft es gut. Damit habe ich in Chicago Erfahrungen gesammelt, und war anschließend in Ohio, um mit straffällig gewordenen Jugendlichen zu arbeiten. Solche, die auf Bewährung in eine Art betreutes Wohnen entlassen werden. In meiner Zeit als Länderbeauftragte haben wir den Kontakt zu der jüdischen Gemeinde hergestellt, z. B. mit Freiwilligen-Arbeit in jüdischen Altersheimen, oder in jüdischen Museen und Organisationen. Das ist also meine „Politisierungs-Geschichte“, die ganz tief in mir verankert ist. Mit Stadtentwicklung und Genossenschaften hat es tatsächlich in Berlin während meines Studiums angefangen. Da habe ich Anfang der 80er zusammen mit Freundinnen aus dem “Notruf für vergewaltigte Frauen” ein Haus besetzt, natürlich das schönste Haus am Landwehrkanal, wie sich das für uns “Damen” gehört. Es war völlig hin. Von Fussböden über Fenster bis zu Wasser und Strom musste alles neu verlegt werden, mit Material aus Abbruchhäusern. Wasser bekamen wir von netten Nachbarinnen über einen Schlauch, praktisch wa r die öffentliche Toilette gegenüber und einmal in der Woche waren wir in Schwimmbad zum Duschen.
Felizitas: Wart Ihr denn so handwerklich begabt oder wie habt ihr das gemacht?
Heike: Nun, wir sind nicht lange allein geblieben, sondern es kamen Freund:innen und Bekannte dazu – alle haben mitgemacht, nach persönlichen Fähigkeiten. Der Gedanke der Selbsthilfe, den wir von Anfang an dann bei der Wogeno nach Möglichkeiten eingeführt haben. Das ist genau die Idee, dass über gemeinsames Tun unterschiedliche Herkünfte, Bildungsstandard etc. keine so wichtige Rolle mehr spielen, weil man sich ganz anders erlebt. Jedenfalls in den 80ern hatte sich die Luisenstadt-Genossenschaft schon gegründet, das waren die ersten genossenschaftlichen Ansätze in Berlin. Der Prozess der Hausbesetzungs-Legalisierung hat lange gedauert. Manche Häuser wurden geräumt und bei den legalisierten Häusern wurde überlegt, wir die Übernahme gehen könnte. Das geschah dann oft in Form einer Genossenschaft.
Wir sind nicht lange allein geblieben, sondern es kamen Freund:innen und Bekannte dazu – alle haben mitgemacht, nach persönlichen Fähigkeiten. Der Gedanke der Selbsthilfe, den wir von Anfang an dann bei der Wogeno nach Möglichkeiten eingeführt haben. Das ist genau die Idee, dass über gemeinsames Tun unterschiedliche Herkünfte, Bildungsstandard etc. keine so wichtige Rolle mehr spielen, weil man sich ganz anders erlebt.
Felizitas: Wie kam es denn, dass das Thema „Genossenschaften“ wieder aufkam? Genossenschaften sind ja eigentlich eher was Altes, auch eher Verstaubtes.
Heike: Mitte der 80er ist ja ganz viel in Bewegung gekommen, in Hamburg und überall. Im Widerstand v.a. gegen den Leerstand und Abriss von Gründerzeitbeständen. Da kam auch das genossenschaftliche Thema neu auf. In Nordrhein-Westfalen zum Beispiel wurden ehemalige Zechensiedlungen genossen-schaftlich übernommen. Es war eine Zeit des Aufbruchs, in der verstanden wurde, dass das genossen-schaftliche Konzept das maximal solidarische Konzept ist. In dieser Zeit wurde auch der wohnbund e.V. gegründet, als Netzwerk wohnpolitisch engagierter Fachleute, die mit ihrer Arbeit zur Entwicklung und Realisierung zeitgemäßer Wohnformen beitragen. Meine unmittelbare Verbindung zu Genossen-schaften kam bei meiner Rückkehr aus den USA zustande. 1991 wurde ich Geschäftsführerin der Frauengenossenschaft WeiberWirtschaft. Die hatte sich 1989 gegründet, um einen Frauen-Gewerbehof zu etablieren. Ich bin genau in die spannende Zeit nach dem Mauerfall dazu gekommen. Meine Hauptaufgabe war es, ein Objekt zu finden, in dem wir diese Genossenschaft realisieren können.
Felizitas: Ihr hattet noch keine Immobilie, wart aber schon gegründet?
Heike: Ja, wir wollten Büros, Werkstätten und ähnliches für Frauen-Startups zur Verfügung stellen. Das wurde aus einem Forschungsprojekt heraus entwickelt. In den Gremien waren erstmal Frauen aus dem Wirtschafts- und Forschungsbereich (Wissenschaftszentrum Berlin und Hochschule). Sie hatten festgestellt, dass Frauen Unterstützung brauchen, dass es Strukturen braucht, in denen sich Frauen selbstständig machen können. Es war ein sehr spannendes Jahr für mich! 1992 entschloss ich mich dennoch nach München zu ziehen, meinem Liebsten Thomas Hartmann hinterher, der aus München stammte und nicht mehr nach Berlin zurück wollte. Das war natürlich ein bisschen schmerzhaft, vorallem, da – kaum dass ich weg war – tatsächlich ein Gebäude für die WeiberWirtschaft gefunden wurde, und zwar ausgerechnet die ehemalige VEB Kosmetik!! Das Projekt ist zustande gekommen – natürlich mit viel Förderung von Bund und vom Land. Es wird immer noch abbezahlt, aber die WeiberWirtschaft lebt und ist beispielgebend für andere Projekte in Hannover oder in Bremen. Natürlich bin ich immer noch Mitfrau.
Es ist mir wichtig zu sagen, dass wir uns von Anfang an als eine politische Organisation verstanden haben. Wir hatten damals den Eindruck, dass München das braucht.
Felizitas: Und wie ging es dann hier in München für dich weiter?
Heike : Nun, ich musste mich nach einer Arbeit umsehen. Zufällig hatten die Grünen im Landtag gerade eine halbe Stelle als Frauenreferentin ausgeschrieben. Diese Stelle bekam ich dann auch aufgrund meines frauenpolitischen Hintergrunds. Das natürlich eine prima Ausgangssituation für einen Neustart in München. Zu dem Zeitpunkt hatte sich Thomas hier in das lokale wohnbund Netzwerk eingeklinkt und dort u.a. Peter Schmidt kennengelernt. Das Thema Wohnprojekt lag in der Luft. Als ich nach München kam, waren schon erste Überlegungen für die Gründung eines Wohnprojekts im Gespräch. Schnell bildete sich eine Initiative, zu der neben Peter Schmidt u.a. auch Christian Stupka dazu stieß. Wir haben ein Jahr lang überlegt, wie kann das gehen, wo, mit wem und so weiter. Thomas hat zwei Semester in Zürich studiert und kannte daher die Wogeno Zürich. Auf dem Weg in einen gemeinsamen Skiurlaub sind wir dort vorbeigefahren, haben uns alles angeschaut und festgestellt: Das ist genau das Konzept, das wir brauchen!! Denn in unserer kleinen Wohnprojekt Gruppe gab es sehr unterschiedliche Vorstellungen, über den Standort und die Rechtsform. Das ging nicht leicht unter einen Hut. Und Genossenschaft war das passende Modell, um zu sagen: Wir gehen von vornherein davon aus, dass wir mehrere Projekte machen, damit alle ihr Plätzchen finden können. Letztlich haben wir uns für das Wogeno Zürich Konzept entschieden und Peter Schmidt hat eine Satzung geschrieben. Es ist mir wichtig zu sagen, dass wir uns von Anfang an als eine politische Organisation verstanden haben. Wir hatten damals den Eindruck, dass München das braucht. Die Genossenschaft hat einfach die richtige Struktur, die richtige Rechtsform, um praktisch solidarisch voranzugehen. Wir waren auch immer sehr pragmatisch unterwegs, nicht so sehr auf Selbstverwirklichung hin ausgerichtet.

Felizitas: Wie habt ihr das denn praktisch gemacht, von was habt ihr gelebt?
Heike: Es war ein zentraler Pluspunkte für die Wogeno-Gründung, dass wir drei Gründungsmitglieder, Peter Schmidt, Christian Stupka und ich, Teilzeitstellen hatten und die zweite Hälfte unserer Arbeitszeit in den Aufbau der Genossenschaft stecken konnten. Na ja und wir hatten alle keinen riesigen Lebens-standard, eine kleine Wohnung , noch keine Kinder, kein Auto und keine riesigen Ansprüche, dann geht das eben. Es hat dann ein ganze Weile gedauert, bis sich seit der Gründung 1992 alles so weit ent-wickelt hat, dass Arbeit für die Wogeno auch mal was bezahlt werden konnte. Damals waren wir die erste junge Initiative in München und haben einen wohnbund-Kongress in München genutzt, um die Genossenschaft öffentlich zu präsentieren. Dort gab es auch Presse. Und so hatten wir auf den ersten Schwung die ersten 100 Solidar-Mitglieder. Die haben gesagt: “ Das braucht es jetzt endlich auch in München. Wir sind die letzten in der Bundesrepublik in einer größeren Stadt!” Ja, und das hat sich auch über eine relativ lange Zeit dann so gehalten. Ein Stamm von Mitgliedern ohne aktuellen Wohnbedarf war für unsere Eigenkapitalbasis wichtig. Wir haben niemandem versprochen, wann und ob sie jemals eine Wohnung bekommen – immer ganz offensiv, weil wir ja gar nicht wussten, wie es weitergehen kann. Wir waren kurz vorm Einpacken ,als es dann mit der Agnesstrasse 1986 doch geklappt hat – das war das erste Projekt – ein Erbauprojekt!
Felizitas: Wie habt ihr das angestellt, an so eine Immobilie wie der Agnesstrasse zu kommen?
Heike: Das Haus war von einem Investor, einem stadtbekannten Spekulanten, gekauft worden. Es gab dort sehr aktive Bewohner:innen, die sich dagegen zur Wehr setzten. Sie hatten die Fassade mit Bannern bestückt und jährliche Straßenfeste und ähnliches organisiert, um auf ihre Situation auf-merksam zu machen. Über einen befreundeten Anwalt, der die Hausgemeinschaft immer beraten hatte, kam die Gruppe auf uns zu: “Wir wollen, dass die Wogeno das Haus rettet!”. Wir sind dann wir zum damaligen grünen Kommunalreferenten Schorsch Welsch gegangen mit der Aufforderung um Unterstützung. Wir haben mobilisiert und politischen Druck ausgeübt und letztlich hat das Kommunalreferat das Vorkaufsrecht ausgeübt. Die Wogeno hat dann einen Erbbaurechtsvertrag für dieses Grundstück bekommen. So hatten wir unser erstes Haus!

Felizitas: Und wegen der Erbpacht war Eigenkapital nicht so ein Thema?
Heike: Ohne Erbbaurecht wäre es nicht zu finanzieren gewesen, aber die Bewohner:innen wussten ja auch, dass sie mithelfen müssen. Mit ihnen hatten wir die ersten wohnenden Mitglieder und außerdem gab es ja noch ein paar freie Wohnungen für weitere Mitglieder. Ich kann mich auch noch an viele Zeitungsartikel erinnern. Denn wir haben immer versucht, eine gute Öffentlichkeit und zur Politik einen guten Kontakt zu haben. Heute ist das nicht mehr so wichtig. Immer wieder waren wir bei der Ver-waltung vorstellig und haben überall Lobbyarbeit gemacht, z. B. bei der damaligen Chefin der HA III, die unseren Vorstellungen sehr skeptisch gegenüber stand. Deshalb mussten wir alles tun, um zu beweisen, dass wir nicht unser schönes Genossenschafts-Nest für ein paar Mittelklässler bauen wollen. So sind wir auch ganz früh mit BISS in Kontakt getreten und mit anderen sozialen Organisationen, um praktisch zu belegen, dass wir tatsächlich unsere Genossenschaft sozial-politisch verantwortlich aufstellen wollen.
Ja, wir haben wirklich dicke Bretter gebohrt … Auf kommunaler Ebene und in der Verwaltung war die Experimentierfreude anderswo viel größer, als in so einer saturierten Stadt wie in München.
Felizitas: Ja, das ist ja das Thema, dass ihr für alle nachfolgenden Genossenschaften diese Vorarbeit bei der Stadt geleistet habt. Die Genossenschaften sind wirklich daran orientiert, der Stadt zu helfen, einen guten Wohnungsbau zu machen. Das waren vor allem die Grünen und die SPD, die ihr bearbeitet habt, oder?
Heike: Dann aber auch die CSU. Genossenschaften sind auch dort unumstritten.
Felizitas: Okay, sehr gut zu hören, dass das die CSU auch so sieht. Wir hatten hier ja im Zusammenhang mit Freiham vor einigen Jahren diverse CSU Stadträtinnen sitzen, um das Prinzip Genossenschaft zu erklären. Vielleicht ist es auch eher am Land so, dass die CSU sich oft schwer tut mit “Genossen” – das ist oft noch die falsche Farbe. Da gibt es Aufklärungsbedarf darüber, dass eine Genossenschaft nichts mit politischer Einstellung zu tun, sondern dass sie auf das Gemeinwohl hin ausgerichtet ist, also alle Schichten der Gesellschaft einschließt.
Heike: Ja, wir sind dann sehr früh auf mein Betreiben hin der Vereinigung der Münchener Wohnungs-unternehmen e.V. beigetreten, in dem viele Münchner ehem. gemeinnützigen Wohnungsunternehmen und alte Genossenschaften Mitglied sind. Es gab ein oder zweimal im Jahr eine Versammlung und etwas Bildungsarbeit (z. B. Exkursionen). Mir war es wichtig dabei zu sein, um zu signalisieren, dass wir gut aufgestellt sind, dass wir “zwar” innovative Ideen haben, aber dass wir grundsätzlich genauso gemeinwohlorientiert arbeiten wie die anderen. Anfangs wurden wir dort ein bisschen befremdlich angeguckt, aber inzwischen sind die jungen Genossenschaften dort anerkannt.
Felizitas: Also, ihr habt von Anfang in allen Richtungen wirklich breite Lobbyarbeit geleistet.
Heike: Ja, wir haben wirklich dicke Bretter gebohrt, weil es in München anders war als z. B. in Berlin oder in NRW mit ihren Leerständen und Hausbesetzungen. Hier dauert der Leerstand max. 1 Tag, wie ich gehört habe. So gab es vonseiten der Stadt nie die Erfordernis, innovative Lösungen zu verfolgen. Auf kommunaler Ebene und in der Verwaltung war die Experimentierfreude anderswo viel größer, als in so einer saturierten Stadt wie in München.
Felizitas: Also die Offenheit, sich auf etwas unkonventionelle, innovative Modelle und Konzepte einzustellen, ist in anderen Städten, in denen es in sich schon ein bisschen offener, turbulenter zugeht, mehr da als in München?
Heike: Ja, absolut. Und deshalb war es sehr mühsam für die ersten Initiativen in München. Für unser Projekt in der Johann-Fichte-Str. haben wir uns mit dem CBF (Club der Behinderten und ihrer Freunde) zusammen getan und so das Grundstück in Schwabing bekommen. Langsam aber sicher kam allmählich in der Politik und in der Verwaltung an, dass wir tatsächlich nicht nur extravagante Ideen haben, sondern tatsächlich einen größeren Blick auf die Stadt, dass wir Mitgestalter:innen der Stadtgesellschaft sind. Und das, denke ich, hat schon eine wichtige Rolle gespielt bei der Entscheidung, so viele Flächen an Genossenschaften zu vergeben. Auch die Wagnis eG hat dazu beigetragen, die z. B. mit den waghalsig großen Gemeinschaftsflächen am Ackermannbogen, für die kein Investor im Viertel einen müden Cent beigesteuert hat, ein großes wirtschaftliches Risiko eingegangen ist (“Wie kriegen wir das vermietet, wie kriegen wir da die erforderlichen Mieten rein?”)

Felizitas: Das heißt, durch politische Arbeit und auch faktische Arbeit in den Projekten konnte ein großes Vertrauen bei der Stadt aufgebaut werden, in dem Sinne, dass das wirklich was Gutes ist, nicht nur für die eigenen Leute, sondern auch für die Stadtgesellschaft. Damit wuchs ja auch euer Selbstbewusstsein, überall mitzutun, wo es um das Wohnen ging. Welche Hindernisse hattet ihr zu bewältigen, welche Konflikte hattet ihr zu lösen?
Heike: Es sind diese kleinen Sachen im Detail: Ich weiß noch, wie ich weinend im Büro saß, weil ich mit den Tücken der verschiedenen Förderstufen (z. B. “München Modell”) kämpfte, also welche Haushalte in welcher Größe in welche Kategorie fallen usw. Wir kamen alle nicht vom Fach und hatten noch nie vorher geförderten Wohnungsbau gemacht. Die Stadt hat bei dem Projekt in Riem auf einmal gesagt hat, das es so gar nicht ginge, wie ich mir das vorgestellt habe bzw. wie ich meinte, dass es mir zugesagt war. Das musste ich anschließend den künftigen Bewohnerinnen und Bewohnern beibringen. Ich konnte das dann noch heilen, aber es gab immer wieder in diesen Prozessen diese erschütternden Erlebnisse. Wir waren in gewisser Weise auch allein.
Felizitas: Du warst damals Vorstand mit Peter Schmidt und Christian Stupka, oder? Wie habt ihr euch die Aufgaben aufgeteilt?
Heike: Jede/r von uns hat jeweils ein Projekt verantwortet; eine professionelle Projektsteuerung hatten wir damals nicht. Wir haben das alles nebenbei gemacht. Zu meiner Teilzeitstelle bei den Grünen im Landtag bin ich immer mit einem Rucksack voller Wogeno-Arbeit. Es war alles papierbasiert, online-Arbeit war ja damals noch gar nicht Standard. Insgesamt war es wirklich ein richtiges learning by doing. In einer gewissen Weise bin ich neidisch auf die jetzige Situation. Denn mittlerweile gibt es angestellte Architekten, die Projektsteuerung intern übernehmen. In den Vorstandssitzungen musste ich dann Entscheidungen treffen; mit guter Beratung an der Seite konnte ich das auch. Aber es war ein nervenaufreibender Job als Vorstand.

Felizitas: Dann waren also in den Neubauprojekten die größten Herausforderungen eher in der Art, dass du ohne große Vorkenntnisse dir selber vieles aneignen musstest und eben aus den Fehlern am meisten gelernt hast.
Heike: Ja. Wir hatten natürlich auch Unterstützung durch unseren Aufsichtsrat. Relativ bald kam Richard Matzinger dazu, der zuvor Wirtschaftsprüfer beim Verband gewesen war und die Wogeno auch mal geprüft hatte. Er im Aufsichtsrat war natürlich ein riesen Gewinn. Und ein befreundeter Steuerberater war auch von Anfang dabei. Wir hatten weitere gute Leute an unserer Seite, wodurch wir das überhaupt bewältigen konnten.
Felizitas: Dass heißt, dass der Aufsichtsrat am Anfang punktuell schon auch operativ mitgemacht hat?
Heike: Nein, schon eher beratende, aber das war sehr wichtig. Der Aufsichtsrat tagt bis heute einmal im Monat, das haben die anderen Genossenschaften so meines Wissens nach nicht und das ist extrem herausfordernd für die Leute im Aufsichtsrat.
Christoph: Bei uns haben wir haben gemerkt, dass der Aufsichtsrat einen gewissen formellen Standard haben muss, also Protokolle schreiben und Beschlüsse dokumentieren. Denn der Prüfer will alles sehen. Darüber Hinaus gibt es Fragen der Strategie und Konzeptentwicklung, eben: Wie macht’s man und wie schafft man dies und jenes? Wir trennen das: Die formellen Sachen erledigen wir in den offiziellen vierteljährlichen Sitzungen und dazwischen gibt es Sitzungen für die sogenannten weichen Themen, die wir informell diskutieren. Dazu muss sich der Vorstand auch nicht vorbereiten.
Felizitas: Noch eine andere Frage: Wie war denn die Beziehung zu den Bewohnerinnen und Bewohnern? Gab es da Konflikte? War das harmonisch oder gab es diametral andere Vorstellungen?
Heike: Das ging eigentlich ganz gut. Es gibt immer irgendwelche spezielle Mitglieder, z. B. gab es einen Haushalt, der immer mit der Lupe noch irgendwas auf dem Parkett gefunden hat. Aber im Grunde ging es sehr solidarisch zu. Wir hatten auch einen Strategiewechsel. Anfangs hatten wir in Riem eine Bau AG, um transparent zu arbeiten und Arbeit zu bündeln. Wir haben im Lauf der Zeit immer wieder Anpassungen vorgenommen, damit die Projektentwicklung auch tatsächlich produktiv ist. Vor allem in den ersten Projekte gab es viel Selbsthilfe. Das war sehr gut, auch um die Gruppen zusammen zu bringen. Dabei haben wir natürlich auch Lernerfahrungen gemacht – in einem Projekt gibt es bis heute keine Fußbodenleisten, weil die Puste ausging. Bei den aktuellen, energetisch hoch komplexen Projekten ist es nicht mehr möglich, so viel selbst zu machen. Insofern gibt es heute mehr Information und Gespräch. Da die Bauvorhaben immer komplexer werden, ist es wirklich eine große Herausforderung zu überlegen, welche Elemente schon in der Planungsphase eingebracht werden können, um die Bindung der Bewohnerschaft zu verstärken.
Felizitas: Genau, das ist der Punkt: Den Grundgedanken der Beteiligung, mit dem ihr gestartet seid, zu behalten.
Heike: Ja, man muss ein ordentliches Konzept ausarbeiten, um zu sehen, an welchem Punkt eine Beteiligung sinnvoll und zielführend ist. Denn es geht ja nicht um irgendeine “Beschäftigung” von Menschen.
Christoph: Dabei geht es in erster Linie um eine transparente Kommunikation. Nach meiner Erfahrung ist es nicht so schlimm, wenn man den Leute sagt, dass wir etwas noch nicht wissen, das sich noch was klärt. Nicht gut ist es, wenn man den Leuten sagt, hier kümmert euch mal, ihre Arbeit aber dann keine Relevanz hat, da die Entscheidungen woanders getroffen werden, also nach dem Motto “rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln”. Es ist auch wichtig, dass sich Konfliktpunkte nicht ewig wie ein Kaugummi in die Länge ziehen.
Felizitas: Es ist besser, angesichts der immer komplexeren Vorhaben der Stadt und den engen finanziellen Rahmen ein paar wenige Dinge zu bestimmen, bei denen Beteiligung wirklich sinnvoll ist. Wir haben hier bei uns im Bau nicht wirklich viel Beteiligung gehabt. Unser Schwerpunkt der Partizipation lag bei den Gemeinschaftsräumen; solche Themen können in die Hände der zukünftigen Bewohnerinnen und Bewohner gelegt werden. Dadurch steigen Qualität und Identifikation.
Da die Bauvorhaben immer komplexer werden, ist es wirklich eine große Herausforderung zu überlegen, welche Elemente schon in der Planungsphase eingebracht werden können, um die Bindung der Bewohnerschaft zu verstärken.
Heike: Ja, du hast recht. Das ist bei uns im Haus im Prinz-Eugen-Park auch so gelaufen; es gibt Arbeitsgruppen, die sich z. B. mit der Einrichtung der Gemeinschaftsräume beschäftigen. Das ist einfach realistisch.
Christoph: Wir hatten hier anfangs die Frage: Was für ein Charakter hat so ein Gebäude? Uns war hier sehr wichtig, dass in der attraktiven Mitte das Gemeinschaftshaus mit Gemeinschaftsraum, Werkstatt, Appartements, Computer Lounge liegt, also an unserer Premium Stelle und nicht im hintersten Eck. Und das kann man ja schon diskutieren: Wollt ihr dem Thema Gemeinschaftlichkeit einen hohen Wert geben? Oder ist das nur ein Randthema. Also, Hauptsache meine Wohnung ist toll und schön und groß und liegt an der schönsten Ecke oder ist die schönste Stelle die für unsere Gemeinschaftsräume?
Felizitas: Ich meine auch, dass man so etwas von der Genossenschaft mehr oder weniger vorgeben kann oder sollte. Denn darin liegt ja auch die Qualität des Wohnens in einer Genossenschaft. Wir haben dann auch die Leute, die das schätzen.
Heike: Apropos Beteiligung: Nach der Fertigstellung von der Johann-Fichte-Str. und Riem haben wir einen Workshop gemacht, also ein Gespräch mit einigen Bewohnerinnen und Bewohnern, mit den Ingenieuren und Architekten; wir haben für einen halben Tag alle zusammen geholt und zusammen ausgewertet, was gut gelaufen ist und was nicht so gut gelaufen ist.
Felizitas: Das finde ich interessant. Genau das habe ich auch für uns nach unseren beiden Projekten vorgeschlagen, vielleicht in zwei Runden, auf jeden Fall mit Bewohnerbeteiligung. Dabei wird es viel um Kommunikation gehen: Wie wurde was, wann kommuniziert?
Christoph: Es ist schon richtig, dass man echt mal nach drei, vier Jahren zurück schaut. Auch für die Bewohnerinnen und Bewohner klar machen, woher der Druck kommt, den der Vorstand hat. Ja, da gab es die Knackpunkte, da musste der Vorstand so und so entscheiden. So können wir die Leute gut mitnehmen im Projekt und vor allem lernen für das nächste Projekt – also beides. Denn die Leute können einfach ihre Sachen loswerden, auch wenn da ein Frust ist; also eine Art Bereinigung und ein gemeinsames Lernen.
Felizitas: Kleiner Schwenk: Wir wissen aus eigener Erfahrung wir, dass eine Gründung einer Genossenschaft eben großes Engagement bedeutet. Deshalb die Frage: Würdest du das nochmals machen?
Heike: Ja, ich bin weiter mit dabei. Ich selber bin keine Frontfrau sondern eine Teamarbeiterin, aber gehe auch in Verantwortung, wenn ich Unterstützung an der Seite habe.
Felizitas: Du bist ja ganz stark vernetzt.
Wir haben unsere Erfahrungen offengelegt, weil es uns wichtig war und ist, dass es auch andere gibt und dass die Idee, die Projekte verbreitet werden. Und das, denke ich, hat sehr stark die Atmosphäre der guten Kooperation geprägt, die wir ja bis heute unter den Genossenschaften in München haben.
Heike: Das stimmt. Und das hat auch die Atmosphäre hier in München mitgeprägt, unter den Genossenschaften – so wie es das in manchen Städten vielleicht nicht so gibt. Wir haben Wagnis auf dem Weg geholfen, ich habe FrauenWohnen auf dem Weg geholfen. Wir haben unsere Erfahrungen offengelegt, weil es uns wichtig war und ist, dass es auch andere gibt und dass die Idee, die Projekte verbreitet werden. Und das, denke ich, hat sehr stark die Atmosphäre der guten Kooperation geprägt, die wir ja bis heute unter den Genossenschaften in München haben. In der Zwischenzeit sind wir zwar in einer Konkurrenzsituation um die Grundstücke, aber das ändert nichts an der grundsätzlichen Solidarität.
Christoph: Ja, es gibt diese Konkurrenz in der Bewerbung auf die Grundstücke hin, aber nicht in der Lobbyarbeit. Denn vom Ansatz her gibt es keine großen Unterschiede.
Heike: Genau, nur der Anforderungskatalog von der Stadt wird immer gewaltiger und das ist finanziell/wirtschaftlich allmählich schwer darstellbar.
Christoph: Ja, wir als Genossenschaften sind ja privatwirtschaftlich aufgestellt, aber nicht gewinnorientiert. Wir wollen aber mit unseren Bewohnerinnen und Bewohner nicht ins Risiko gehen müssen. Von der Stadt bekommen wir aber zwischenzeitlich ein Korsett umgelegt, da die Auflagen so viele sind. Da fragt man sich, warum die Stadt diesen offensichtlichen Bedarf nicht mit ihren städtischen Gesellschaften selber abdeckt. Wir als sehr gemeinwohlorientierte Genossenschaften müssen entsprechende Freiräume bekommen.
Heike: Wir als mitbauzentrale hatten schon vor einem halben Jahr einen eigenen Brief an die Stadt geschrieben, es gab Briefe von der GIMA und es gab auch schon Gespräche mit der Frau Prof. Merk usw. Ja, all diese Sachen sind schon gelaufen, kurz vor Weihnachten ist dann dieses Sammel-Schreiben raus, das alle Genossenschaften unterschrieben habe.
Christoph: Das ist toll, dass alle unterschrieben haben. Diese Botschaft zeigt ja wirklich, dass alle geschlossen dahinter stehen.
Heike: Aber dennoch scheint das keine Wirkung zu haben. Soweit wir wissen, muss in die Ausschreibungsunterlagen für die Bayernkaserne alles reingeschrieben werden, was vom Stadtrat beschlossen wurde. Es ist da eine Grenze an Machbarkeit überschritten. Wir von der mitbauzentrale sagen schon sehr lange, dass die Stadt von dieser Pseudo-Konzeptausschreibung mit den vielen Häkchen und Forderungen lassen muss. Es muss einen Spielraum geben. Zum Beispiel steht in dem Schreiben auch, dass diese Mietpreis Reduzierung im KMB-Bereich so viele Punkte bekommt. Das geht überhaupt nicht. Es sollte eine ernstzunehmend Konkurrenz zwischen den Genossenschaften bezüglich ihrer Schwerpunkte geben, also dass jede Genossenschaft seine Konzeptbausteine selber aussuchen kann, aber kein Preiskampf. Das Blöde ist, dass es in München keine Jury gibt, sondern dass die Verwaltung entscheidet. Das ist einfach schade.
Christoph: Es gibt keine kreativen Spielräume. Gerade diese Mietpreis Geschichte setzt die falschen Signale, da wir dann die Einlagen erhöhen müssen. Das sind aber falsche Anreize, da das Angebot dann nur noch für die Reichen ist. Aber wir haben hier einen Wohnungsmangel für breite Bevölkerungsschichten, denn die Leute ziehen in die Städte. Wenn du das gestalten willst, dann muss es über andere Mechanismen gehen als über diese Mietpreis- Komponente.
Heike: Ja, das steht auch ganz deutlich in dem Schreiben, dass das eine soziale Schieflage befördert.
Felizitas: Ganz herzlichen Dank für Deine Zeit – es ist eine echte Kostbarkeit, mit dir in diesem offen und vertraungsvollen Austausch zu stehen und so an deinem gewaltigen Erfahrungsschatz teilhaben zu können.
