Interview von Agnieszka Spizewska mit dem BA-Vorsitzenden
In der Rubrik „Wir & die Stadt“ stellt das Progeno Magazin Persönlichkeiten aus dem Bezirksausschuss 22 vor. Agnieszka hat den Vorsitzenden des BA, Sebastian Kriesel, interviewt.
Kurzportrait von Sebastian Kriesel
39 Jahre alt. Hier geboren und aufgewachsen. Ein Häuschen und ein paar Hühner. Seit über 20 Jahren im Bezirksausschuss. Seit fast 10 Jahren im Vorsitz. Er kennt jeden Stein in seinem Bezirk.

Das Interview
Herr Kriesel, was war Ihr Weg in den Bezirksausschuss?
Kriesel: Das Elternhaus hat mich vorgeprägt. Mein Vater war auch schon CSU-Mitglied. Ich habe es aber nicht machen müssen. Ich habe es für mich freiwillig entschieden. Ich bin mit 16 Jahren in die Junge Union der CSU und dann später in die CSU eingetreten, weil mich das zum größten Teil überzeugt hat. Es ist bei mir aber heute so, dass ich nicht zu 100 Prozent CSU-ler bin. Mir sind zum Beispiel auch soziale Themen sehr wichtig. Man wirft mir schon auch intern vor, dass ich auch bei der SPD sein könnte. Das kann sein, aber ich sehe immer noch die größten Schnittmengen mit der CSU. In den Bezirksausschuss wurde ich nur deswegen gewählt, weil die CSU damals einen Platz für einen jungen Kandidaten hatte, und ich habe mich aufgestellt und wurde gewählt. Es war vor 21 Jahren und ich bin immer noch im Bezirksausschuss.
Was mögen Sie am meisten an Ihrer Arbeit und was mögen Sie am wenigsten?
Kriesel: Was mir schon immer Spaß gemacht hat, sind direkte Kontakte mit den Menschen. Man kommt immer vor Ort ins Gespräch, man trifft jemanden auf dem Weg zur S-Bahn. Man bekommt selten Lob, oft Kritik und das ist ganz normal. Aber man sieht auch was. Wenn ich im Bezirksausschuss was Konkretes zu lösen haben, eine Haltestelle barrierefrei auszubauen oder eine Lampe in einem dunklen Eck hinzustellen, dann ist es ein tolles Gefühl, wenn das gemacht wird, und ich freue mich darüber.
Das, was keiner braucht, sind diese typischen taktischen Streitigkeiten zwischen den Parteien. Wir müssen einfach alle gemeinsam schauen, was das Beste für unseren Stadtbezirk, für unsere Einwohnerinnen und Einwohner ist und wie wir es erreichen. Aber da, glaube ich, sind wir ein ganz gut eingespielter Bezirksausschuss.
„Freiham ist im Gremium bisher nicht vertreten.“
Wer sind die 23 Bezirksausschussmitglieder? Wer engagiert sich in der lokalen Politik?
Kriesel: Das Gremium soll den Querschnitt der Bevölkerung darstellen. Das tut sie im Moment nicht zu 100 Prozent, muss man ehrlicherweise sagen. Die meisten BA-Mitglieder wohnen in Aubing, manche auch in Neuaubing oder am Westkreuz, einige in Lochhausen-Langwied. Wir haben leider noch kein Mitglied aus Freiham dabei. Das wird beim nächsten Mal wahrscheinlich anders sein und es ist auch gut so. Das Gremium enthält eine Schwarmintelligenz. Keiner ist mit der Weisheit gesegnet, aber die Vielfalt, verschiedene Lebenssituationen, bringen Abwechslung in das Gremium. Erst wenn man sich ein Anliegen aus verschiedenen Perspektiven angeschaut hat, alle Pros und Kontras überlegt hat, ist die Entscheidung richtig.
Welche Anliegen kann man an den Bezirksausschuss adressieren? Sie werden doch nicht Tauben verjagen, oder?
Kriesel: Nein, aber das Thema kommt bei uns auch vor. Wir sind das am einfachsten zu erreichende Gremium, die erste Anlaufstelle für Bürgerinnen und Bürger. Die Stadtverwaltung ist dafür wahnsinnig kompliziert und unübersichtlich. Wie soll man wissen, welche Stelle im Verwaltungsapparat für Taubenabwehr zuständig ist? Für die Taubenabwehr ist zum Beispiel das Referat für Klima und Umweltschutz zuständig. Man kommt mit der Frage zu uns und wenn wir das Problem nicht alleine lösen können, leiten wir es an die entsprechende Stelle weiter und kümmern uns darum, dass man die Antwort wirklich zurückbekommt. Es kann eine Woche aber auch ein paar Monate dauern, je nach dem Sachverhalt. Manche Anliegen sind schnell zu beantworten, manche erfordern zusätzliche Prüfungen. Wir sind ein bisschen der Behördenwegweiser.

Was macht Ihre Partei, also die CSU im Kontext der lokalen Politik aus?
Kriesel: In der Kommunalpolitik ist es anders als in der Bundespolitik. Man ist näher beieinander. Wir diskutieren nicht über Gesetze, wir sind ein Kollegialgremium, handeln menschennah. Wir haben vielleicht eine andere Schwerpunktsetzung. Die CSU ist der Meinung, dass jeder Verkehrsteilnehmer seine Berechtigung hat. Wohnungsbau ja, aber nicht um alle Kosten. Die SPD möchte Wohnungsbau um jeden Preis. Aber 95 Prozent der Angelegenheiten werden mit dem gesunden Menschenverstand diskutiert und entschieden. Im Bezirksausschuss ist es nicht so wichtig, welcher Partei man angehört.
2019 hat der Bezirksausschuss sein Recht genutzt und das Veto für den 2. Realisierungsabschnitt in Freiham eingelegt, bevor einige Fragen zum Beispiel zur Anbindung Aubing-Freiham, Kühlschneisen für die Stadt, U-Bahn-Verlängerung, Ausbau der A99, Ausbau und Taktung der S8 und S4 geklärt sind. Wurden alle Fragen beantwortet?
Es ist ein ganz schwieriges Thema. Freiham begleitet mich seit ich im Bezirksausschuss bin, also seit über 20 Jahren. Seitdem hat sich bezüglich Freiham viel verändert, weil sich die Stadtentwicklung und die Bedürfnisse der Stadt über Jahrzehnte verändern. Wir hatten Anfang der 2000 Jahre eine ganz andere Situation, weil sich München seit Jahren auf dieselbe Anwohnerzahl eingependelt hat. Man hat gesagt, dass man Freiham bauen kann, es war letztendlich seit den 1960er geplant, allerdings gab es keinen Druck. In den 2010 Jahren ist auf einmal die Einwohnerzahl für damalige Verhältnisse explodiert. Man hat die Pläne für Freiham aus der Schublade gezogen, weil man neuen Wohnraum, und zwar einen bezahlbaren Wohnraum schaffen musste, weil die Preise auf dem Münchner Wohnungsmarkt immer höher geworden sind. Dann ist Freiham verdichtet worden, weil viel mehr Leute untergebracht werden sollten.
Noch 2013 hat der Stadtrat einen Beschluss gefasst, dass Freiham über alle Realisierungsabschnitte bis 20.000 Einwohner haben soll. Nachher wurde gesagt, dass es 25.000 sein könnten. Jetzt spricht man über sogar 30.000 Einwohner. Also man hat einfach mal 50 Prozent draufgesetzt, und zwar bei derselben Fläche. Das kann ich nur durch viel höhere oder viel dichtere Bebauung erreichen. Das sieht man bei den zwei Realisierungsabschnitten. Im ersten Realisierungsabschnitt sind es niedrige Häuser, gemütliche Innenhöfe, Tiefgaragen bei bestimmtem Stellplatzschlüssel, ein Straßenkonzept. Im zweiten Realisierungsabschnitt wird viel höher und viel dichter gebaut, weil dort viel mehr Menschen wohnen sollen. Der Stellplatzschlüssel wird deutlich verringert, damit man dort viel weniger Autos hat. Die Anwohner werden keine Tiefgaragen haben, sondern Mobilitätshäuser. Man kann das alles machen, aber die Frage ist, ob es dann noch gut funktioniert.
„Der Bezirksausschuss hat überparteilich einstimmig gesagt: Jetzt muss Schluss sein.“
Der Bezirksausschuss hat einstimmig gesagt, und das ist jetzt keine Sache nur von der CSU, sondern über Parteigrenzen hinweg, dass es jetzt Schluss sein muss. Wir bauen immer mehr und immer dichter, aber wir haben diese dringenden Fragen, die sie genannt haben. Wir können so nicht weitermachen, weil unsere Aufgabe im Bezirksausschuss ist auch zu sichern, dass Menschen hier gut wohnen können. Dafür tragen wir die Verantwortung. Und wir hatten alle 2019 das Gefühl, das kann nicht funktionieren. Unser Veto hat einen wahnsinnig tollen und wichtigen Schlag in die Stadt gegeben. Sowohl in der Stadtverwaltung als auch im Stadtrat ist man aufgerüttelt gewesen. Sie haben sich dann alles genauer angeschaut. Ein Punkt, die Anbindung Aubing-Freiham, wurde bis heute nicht gelöst.
Wird es wirklich so sein, dass der zweite Realisierungsabschnitt wegen dem Bezirksausschuss gestoppt wird?
Kriesel: Wir befinden uns wirtschaftlich in einer schwierigen Situation. Die Einnahmen in München sind zwar noch gut, wir wissen aber noch gar nicht, ob die U-Bahn aus Pasing 100-prozentig finanziert wird. Die neue U9 Strecke aus München Zentrum ist gesichert, die Strecke vom Laimer Platz nach Pasing wird es auch sicher geben, aber die Strecke von Pasing nach Freiham sehe ich noch nicht. Die Stadt allein kann es nicht finanzieren. Wir brauchen die Landesmittel und das ist der kleinste Teil. Die größten Mittel stellt der Bund zur Verfügung und ob die kommen, wird spannend werden. Das ist auch eine der Fragen, die im Kontext des zweiten Realisierungsabschnittes nicht beantwortet wurde.
Was wünscht sich CSU für den Bezirk 22? Was ist der Plan?
Kriesel: Wir wünschen uns, dass sich jeder hier beheimatet fühlt, in Lochhausen aber auch Freiham. Wir werden den zweiten Realisierungsabschnitt von Freiham ganz genau beobachten. Die Aubinger Allee darf keine Trennlinie bieten. Es kann nicht sein, dass im ersten Realisierungsabschnitt alles schön ist und der Zweite nicht funktioniert. Freiham darf keinen negativen Touch bekommen. Es ist ein guter und wichtiger Stadtteil. Ich glaube, der erste Realisierungsabschnitt wird gut sein, habe aber Bedenken, was den zweiten Realisierungsabschnitt betrifft. Wir haben schon jetzt Probleme, zum Beispiel die Polizeiinspektion Pasing beobachtet eine erhöhte Kriminalitätsrate im Bildungscampus.
Ich glaube, der zweite Realisierungsabschnitt ist zu dicht, zu voll, die Angebote passen nicht, es ist nicht das, was die Menschen vor Ort brauchen. Aber da sind wir noch in der Diskussionsphase. Es gibt noch nicht den sogenannten Satzungsbeschluss. Da darf nicht gebaut werden. Wir haben es im Bezirksausschuss auch einstimmig gesagt: Bevor die U-Bahn nicht in Freiham ist, darf der zweite Realisierungsabschnitt nicht realisiert werden. Das ist eine ziemlich harte Forderung. Aber das ist aus unserer Sicht eine Grundnotwendigkeit, dass ich erst die Infrastruktur herstellen muss, bevor die vielen Leute hierher einziehen.
Darf ich dann den Schluss ziehen, dass Sie weiter in der Kommunalpolitik bleiben möchten? Möchten Sie weiter für den BA-Vorsitz kandidieren?
Kriesel: Ja, ich würde gerne weitermachen. Mir macht es Spaß. Ich fühle mich gut ausgelastet und kann mich nicht beschweren, dass ich wenig gearbeitet hatte. Ich sehe auch hier mein Tätigkeitsfeld.
Herr Kriesel, vielen Dank für das Interview!
