Macht es nicht Sinn, Dinge zu teilen?

Simons leidenschaftliches Sharing-Plädoyer

Habt ihr euch auch schon einmal gefragt, ob ihr wirklich alleine eine Bohrmaschine, einen Schwingschleifer oder jede Menge Sandspielzeug benötigt?

Ich habe mir diese Fragen häufig gestellt. Auch in Anbetracht diverser Nachbarn in der Vergangenheit, wo jeder Gartenbesitzer sämtliches Gartengerät, angefangen vom Rasenmäher bis zum Vertikutierer (Gerät um Moos aus dem Golfrasen zu bekommen), alleine besitzt. Und am Ende ist es wie mit den Autos: Das Zeug steht fast die ganze Zeit ungenutzt herum. Das ist weder wirtschaftlich noch nachhaltig – zugegeben, eines ist es: bequem! Denn ich habe immer alles da, was ich brauche, und muss mich nie darum bemühen, es zu organisieren. Allerdings habe ich auch sämtliche Verantwortung für die Dinge, denn wenn etwas kaputt geht, muss ich es selber reparieren. Außerdem brauche ich viel Platz zum Aufbewahren; zudem kostet es jede Menge Geld.

Die Frage ist deshalb, wie das „Teilen“ gelebt wird – entweder verantwortungs- und rücksichtsvoll oder eben ohne Rücksicht auf die Anderen.

Macht es da nicht Sinn, die Dinge zu teilen? Das Schlimmste, was passieren kann: Dass ich zu meinem Nachbarn gehen muss, um mir etwas zurückzuholen und dabei vielleicht noch ein nettes Pläuschchen habe. Zugegebenermaßen kann es auch anders laufen: Ich brauche dringend den Bohrer, da ich nur ein kleines Zeitfenster zum Bohren habe; der Bohrer ist aber unauffindbar verschwunden, weil sich niemand in die Liste zum Ausleihen eingetragen hat. Als der Bohrer dann Wochen später wieder auftaucht, ist er kaputt … (so ist es zwar bei uns noch nicht geschehen, aber sicherlich denkbar). Die Frage ist deshalb, wie das „Teilen“ gelebt wird – entweder verantwortungs- und rücksichtsvoll oder eben ohne Rücksicht auf die Anderen.

Wenn man möchte, kann man jede Menge teilen. Wieviel Teilen sinnvoll ist, hängt also immer davon ab, in was für einer Gemeinschaft ich lebe. Denn nur wenn das Teilen funktioniert, habe ich einen Mehrwert und nicht nur Frust. In Freiham versuchen wir, ziemlich viel zu teilen: Angefangen von der Mobilität über Geräte, wie Waschmaschinen, bis hin zu Räumen aller Art.
Auf die einzelnen geteilten Dinge möchte ich gerne hier noch genauer eingehen, denn es ist wirklich viel Tolles dabei:

  • MOBILITÄT
    In WA9 haben wir drei E-Bikes und zwei Lastenräder, in WA4 sind es zwei E-Bikes und ein Lastenfahrrad. Momentan sind sie einfach so da, zum jederzeitigen Ausleihen. Dazu muss man sich nur in eine Liste eintragen und kann es benutzen, wenn es gerade niemand anders braucht. In Zukunft wird die Nutzung wahrscheinlich anders geregelt werden müssen, wir brauchen schließlich auch Geld für die Reparaturen. Dennoch: Die Möglichkeit zu haben schnell mit dem Lasti zum Einkaufen zu radeln (auch inklusive Kids) oder eine längere Radltour mit Ebike zu machen ist einfach genial. Reparatur-Stationen gibt es übrigens auch in unseren Fahrradkellern.
    Außerdem haben wir noch zwei Sharing-Autos von „Stadtauto“ in WA4 in der Tiefgarage stehen. Etliche der privaten Autos können ebenfalls intern ausgeliehen werden. Außerdem gibt es eine gemeinsame Isarcard zum Ausleihen.
  • RÄUME
    Es gibt zwei Gemeinschaftsräume – einen größeren in WA9 und eine kleineren mit Dachterrasse in WA4, die für alle möglichen Aktivitäten wie z.B. private Geburtstage / Hochzeiten / religiöse Feste etc. genutzt werden; zudem für Progeno-Aktivitäten, wie den Ramadama, AG- und Bewohnertreffen oder aber auch für Yoga-Sessions oder Bandproben.
    Außerdem haben wir zwei noch im Aufbau befindliche Werkstätten für diverse Holz-, Metall und 3-D Druckarbeiten und zur Ausleihe für Werkzeug aller Art.
    Zudem gibt es ein Atelier für künstlerische Aktivitäten und einen Jugendraum.
    Zum Waschen werden die Räume ebenfalls geteilt: Jedes Haus hat einen Waschraum für die Waschmaschinen, Trockner und teilweise auch genug Platz für die Wäscheständer. Zusätzlich gibt es in WA9 einen ebenerdigen Waschsalon mit Profi-Maschinen für Waschen und Trocknen, ergänzt durch eine Küchenzeile. Dieser Raum und insbesondere der Hofplatz davor bieten sich auch für alternative Aktivitäten oder das abendliche Abhängen in der Sonne an.
    Die Außenflächen werden natürlich auch gemeinsam bespielt. Beide Baufelder verfügen über einen Spielplatz für die Kinder und einen „Dorfplatz“, auf dem man sich treffen und ein bisschen ratschen kann (für Letzteres sind zudem die Foyers der einzelnen Häuser sehr großzügig gestaltet – ideal auch im Winter als „Indoor-Spielplatz” für die vielen Kinder). Darüber hinaus gibt es weitere Gartenflächen, auf denen Bewohner einzeln oder zusammen Gemüse anbauen oder Blumen anpflanzen können.
    Zudem gibt es die beiden buchbaren Gäste-Appartements als eines der stark genutzten Sharing- Angebote. Wenn wir die Appartements nicht hätten, bräuchten viele ein Gästezimmer, da die Wohnungen so zu klein sind, um wirklich Gäste übernachten lassen zu können (außer man kennt die Gäste wirklich sehr gut).
    Ein tolles Angebot ist auch das Coworking in dem man fast immer auch spontan noch einen Platz bekommt. Der Raum ist richtig gut eingerichtet: die sechs Arbeitsplätze haben zwei in alle Richtungen verstellbare Bildschirme, Docking stations und höhenverstellbare Tische (elektrisch und bis Stehhöhe!). Außerdem gibt esnoch einen Drucker, der für alle Progenos nutzbar ist (einfach im Progeno-Netz anmelden, Drucker einschalten und in guter Qualität drucken.
    Etwas, was auch in allen „normalen“ Häusern geteilt wird, ist der Müllraum. Aber auch hier gilt: Dieser muss sauber und ordentlich gehalten werden.
  • DINGE & GERÄTE
    Das Teilen von Dingen habe ich schon bei der Werkstatt angesprochen. Das beschränkt sich aber nicht nur auf die oben erwähnten Werkzeuge und Sandspielsachen. So haben wir zum Beispiel in WA9 Süd eine Tischtennisplatte und in der Tiefgarage ein Kanu stehen, das von jedem benutzt werden kann. Leitern und Schiebewagen zur freien Benutzung gibt es auch. Und ich bin mir sicher, dass wir in Zukunft noch mehr Möglichkeiten finden, Freizeitgeräte sinnvoll zu teilen.
  • STROM
    Nicht zu vergessen – auch unseren Strom teilen wir: Die Isarwatt ist eine Energie- und Mobilitätsgenossenschaft, an der viele Münchner Genossenschaften beteiligt sind. Über die auf den Dächern installierten PV-Anlagen erzeugt sie gemeinschaftlich regenerativen Strom im Rahmen von Mieterstromprojekte Sonnenstrom mit Herkunftsgarantie
  • GEMEINSCHAFT
    Und eine der wichtigsten Sachen: Wir teilen unsere Gemeinschaft, auch wenn wir noch am Zusammenwachsen sind – wir sind ja in WA9 noch nicht einmal ein Jahr eingezogen. Es zeigt sich schon jetzt, wie schön es ist, abends draußen zu stehen und einfach viele nette Leute zu treffen. Auch unsere Kinder profitieren davon: Wenn ihnen langweilig ist, gehen sie einfach kurzerhand zu den Nachbarskindern zum Spielen oder treffen sich draußen mit ihnen. Besonders schön war auch das Fest nach unserem ersten Ramadama im Mai, keine fünf Monate nach Einzug, bei dem um 23 Uhr bei bestem Wetter immer noch viele Leute draußen saßen und sich gut unterhalten haben. Damals ein erster Vorgeschmack darauf, wie schön es sein kann, mit den Nachbarn zu feiern.
  • SELBSTVERWALTUNG
    Zu guter Letzt wird auch die Arbeit geteilt, denn wir sind selbstverwaltet; d. h. es gibt viele Arbeitsgruppen (AGs), die sich um die einzelnen Sharing-Angebote kümmern. Alle Bewohner bringen sich irgendwo ein. So helfen alle mit, dass es diese Angebote gibt und dass die Kosten für Reinigung und Service so gering wie möglich gehalten werden. Über die AGs entsteht zudem häufig ein Zusammengehörigkeitsgefühl, da es in den Gruppen einen regelmäßigen Austausch gibt.

Natürlich ist der Gedanke vom Teilen nicht neu. Er ist so alt wie die Menschheit; vor allem in Zeiten, in denen es knapper wird, rücken die Menschen zusammen und teilen. In Deutschland geht es uns momentan einfach zu gut, um das Teilen als Standard zu haben – wir haben es nicht nötig zu teilen und es ist von unserem konsum-geprägten System auch nicht gewollt. Wer teilt, kauft schließlich viel weniger Neues.

Und natürlich können durch das Teilen auch jede Menge Ressourcen und CO2 eingespart werden. Für mich ist das ein sehr wichtiger Faktor


Was ist jetzt das Fazit von dem Ganzen? Kompaktes Wohnen auf 90 m² fühlt sich manchmal eng an. Vor allem wenn man zu fünft ist wie wir. Da finde es toll, dass wir so viele Möglichkeiten zum Teilen haben – ohne die ganzen Sharing-Angebote und die Gemeinschaft wäre der gefühlte Wohlstand (oder besser Wohlfühlfaktor?) für mich um einiges geringer. Und natürlich können durch das Teilen auch jede Menge Ressourcen und CO2 eingespart werden. Für mich ist das ein sehr wichtiger Faktor. Wir haben nur eine Erde und die möchte ich gerne weiterhin so schön haben, vor allem auch für meine drei Kinder. Insgesamt funktioniert das Teilen bei uns bisher ziemlich gut und ich bin zuversichtlich, dass das auch so bleibt.
Aber natürlich gibt es Vieles, was sich nicht teilen lässt oder wo jeder unterschiedliche Ansichten hat. Meine elektrische Zahnbürste gehört jedenfalls mir!

Simon Weigl | Fotos: Mussenbrock-Strauß

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